Junge Welt 10.02.2010 / Ausland / Seite 7

Für den Zweitschlag

Indien rasselt vor Friedensgesprächen mit Pakistan mit nuklearer Mittelstreckenrakete

Von Ashok Rajput, Neu-Delhi
 
Der Überführung der »Agni-III« ins Arsenal der Streitkräfte steht wohl nichts mehr im Wege

Indien hat Anfang Februar überraschend Bereitschaft signalisiert, mit dem Nachbarn und »Erzfeind« Pakistan den seit fast anderthalb Jahren unterbrochenen umfassenden Dialog zu allen bilateralen Problemen wieder anzuschieben. Nach dem Terrorschlag vom November 2008 in Mumbai hatte eine diplomatische Eiszeit im Nachbarschaftsverhältnis begonnen, weil fast alle Spuren des Blutbades mit über 160 Toten nach Pakistan führten. Was Neu-Delhi nun veranlaßte, doch Friedensgespräche für opportun zu halten, ist nicht ganz klar. Aber Druck aus Washington dürfte dabei keine untergeordnete Rolle gespielt haben. Noch im Februar könnten erste offizielle Gespräche beginnen.

Mitten in die Vorbereitungen auf dieses regionale Großereignis ließ Indien am Sonntag zwar keine Bombe platzen, doch eine Mittelstreckenrakete vom Typ »Agni-III« starten, die einen nuklearen Sprengkopf tragen und chinesisches Territorium im Raum Schanghai sowie natürlich alle Städte in Pakistan erreichen kann. Schwer vorstellbar, daß dieses Timing reiner Zufall war. Eher eine indische Andeutung, mit Islamabad von einer Position der Stärke aus verhandeln zu wollen.

Wie auch immer, vom »Bilderbuchflug« der Rakete zeigten sich Politiker, Militärs, Raketenexperten und natürlich die Medien gleichermaßen begeistert. Einige bewerteten ihn sogar als »Beweis der Reife des indischen nuklearen Abschreckungsprogramms«. Dr. W. Selvamurthy, Chefkontrolleur bei der Organisation für Forschung und Entwicklung im Verteidigungssektor (DRDO), erklärte, da Indien sich der Doktrin verpflichtet sehe, keinen nuklearen Erstschlag zu führen, brauche es eine robuste Zweitschlag-Fähigkeit, um mit gleicher Münze zurückschlagen zu können. Indien sollte deshalb in der Lage sein, Raketen vom Typ »Agni-III« an Orten zu stationieren, wo man sie nicht entdecken kann. Der Überführung dieses Waffensystems ins Arsenal der Streitkräfte steht wohl jetzt nichts mehr im Wege.

Zweifellos spornt der Erfolg vom Sonntag – es war der dritte gelungene Testflug in Folge – die indischen Raketentechniker an, die »Agni«-Serie fortzusetzen und zu vervollkommnen. V.K. Saraswat, wissenschaftlicher Berater im Verteidigungsministerium in Neu-Delhi, gab die Richtung vor: »Dieser Start ist für die DRDO ein Sprungbrett, die nächste ballistische Mittelstreckenrakete Agni-V in Angriff zu nehmen.« Laut Medienberichten soll »Agni-V« dank seiner Reichweite von 5000 Kilometer tief im Innern der VR China liegende Gebiete treffen können.

Einem Bericht der Times of India war zu entnehmen, daß mit »Agni-III« zudem eine »starke strategische Botschaft« an die gesamte Region des Indischen Ozeans gerichtet werden soll. Neu-Delhi signalisiere damit seine Bereitschaft, eine größere Rolle als Sicherheitsfaktor in dieser Region zu spielen. Indien habe eigene »legitime Sicherheitsbesorgnisse«, besonders weil China seine strategischen Marine-Bewegungen im Indik intensiviert habe und seine Streitkräfte rapide modernisiere. Deshalb kontere Indien mit einem massiveren Aufbau der Militärstrukturen an der 4057 Kilometer langen Grenze zwischen beiden Staaten. Dazu gehörten zwei neuen Gebirgsjägerdivisionen mit 35000 Soldaten sowie die Stationierung von »Suchoi«-Abfangjägern im Nordosten Indiens. Das sowie »„Agni-III« und die noch nicht getestete »Agni-V« reflektiere die »Abschreckungshaltung« gegenüber Peking. Die Zeitung verweist, ohne Bezug auf die Militärkooperation zwischen Washington und Neu-Delhi zu nehmen, auch darauf, daß die USA die VR China militärisch unter Kontrolle halten möchten. Unerwähnt bleiben freilich die Pentagon-Absichten, dabei Indien als Gegengewicht zu China einzuspannen.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/02-10/038.php