Junge Welt: 03.09.2008

Hintergrund

EU will »Präsenz vor Ort« zeigen

In der Abschlußerklärung des EU-Gipfels vom Montag wird die »unverzügliche« Entsendung einer »Erkundungsmission« angekündigt, die »die Modalitäten für ein verstärktes Engagement der Europäischen Union vor Ort« erkunden und »genauer bestimmen« soll. Ein förmlicher Beschluß darüber soll schon in etwa zwei Wochen fallen.

Was in diesem Zusammenhang der Begriff »vor Ort« genau bedeutet, wird – vermutlich bewußt und absichtlich – nicht präzisiert: nur das eigentliche Georgien oder etwa auch die inzwischen von Rußland als unabhängige Staaten anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien? Sicher ist, daß eine »Ersetzung« der derzeit noch in der etwa zehn Kilometer breiten Pufferzone auf georgischem Gebiet stationierten Russen – etwa 500 Mann – durch einen »internationalen Überwachungsmechanismus« unter europäischer Beteiligung angestrebt wird. Rußland hat zwar im Prinzip schon zugestimmt. Unklar ist aber, ob man in Moskau dabei wirklich an Ersetzung oder nur Ergänzung durch internationale Beobachter denkt.

Die EU-Erklärung spricht außerdem die Beteiligung an einer »Stärkung der Beobachtungsmission der OSZE in Südossetien« an. Das könnte zum Streitpunkt werden, zumal da die EU auf der den politischen Realitäten widersprechenden und zu neuen militärischen Abenteuer ermutigenden Fiktion beharrt, daß Südossetien ebenso wie Abchasien Teile Georgiens seien. Fraglich ist auch, welche Grundlage künftig überhaupt noch für die Präsenz einer OSZE-Mission in Südossetien besteht, nachdem Georgien am Freitag voriger Woche einseitig die 1992 und 1994 geschlossenen Waffenstillstandsabkommen mit Südossetien und Abchasien aufgekündigt hat. Seltsam berührt in diesem Zusammenhang, daß die EU-Erklärung kein Wort der Kritik an diesem provokatorischen Schritt enthält.

Forderungen der USA und der EU, »Beobachter« mit militärischem Rang oder sogar westliche Truppen (etwa unter dem Deckmantel der UNO) in Südossetien und Abchasien zu stationieren, bergen enormen Zündstoff für eine neuerliche Eskalation des Konfliktes. (km)

Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/09-03/015.php
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