Minsk und Moskau im Streit junge Welt 05.06.2009
Belarus stellt strategisches Bündnis mit Rußland offen in Frage
Von Tomasz Konicz
Zwischen Minsk und Moskau ist die Stimmung schlecht. Der russische
Finanzminister Alexej Kudrin kritisierte Ende Mai die exponierte Rolle des
belarussischen Staates in Wirtschafts- und Währungsfragen als »sinnlose
Politik«. Zudem nehme Belarus gegenüber Rußland eine »parasitäre Haltung« ein,
so Kudrin am Donnerstag vergangener Woche im Anschluß an eine Staatsvisite in
Minsk. Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko konterte diese
liberale Kritik am folgenden Tag, indem er dem russischen Finanzminister
vorwarf, sich mit dem »weißrussischen Abschaum« gemein zu machen, der – bezahlt
durch »westliches Geld« – baren »Unsinn verbreitet«.
Entzündet hatte sich dieser jegliche diplomatische Standards weit
unterschreitende verbale Schlagabtausch - mal wieder – an Geldfragen. Es geht um
die Auszahlung der letzten Rate eines zwei Milliarden US-Dollar umfassenden
Kredits, den Moskau seinem westlichen Nachbarland gewährt hatte. Während seiner
gemeinsam mit dem russischen Regierungschef Wladimir Putin absolvierten Visite
in Minsk habe er der belarussischen Führung angeboten, die letzte Tranche in
Höhe von 500 Millionen US-Dollar in Rubel auszuzahlen, erläuterte Kudrin. Dies
habe aber die Regierung in Minsk entschieden abgelehnt.
Hieran schloß der russische Finanzminister seinen Frontalangriff auf die
belarussische Wirtschaftspolitik an. Sollte Belarus sein derzeitiges
Ausgabenniveau beibehalten, so drohe dem einstmals engen Verbündeten Moskaus in
absehbarer Zeit der Staatsbankrott, warnte Kudrin.
Tatsächlich haben die enormen Preissteigerung für russische Energieträger
mitsamt der nun voll einsetzenden Weltwirtschaftskrise die belarussische
Wirtschaft hart getroffen. Der Preis für russisches Erdgas hat sich für Belarus
binnen weniger Jahre auf 148 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter verdreifacht.
Unwillig, die Ausgaben für sein im regionalen Vergleich vorbildliches
Sozialsystem signifikant zu kürzen, ging Minsk in der letzten Zeit verstärkt zur
umfassenden Kreditaufnahme über. So hat beispielsweise auch der Internationale
Währungsfond (IWF) Belarus im Januar dieses Jahres einen Kredit in Höhe von 2,46
Milliarden US Dollar gewährt.
Den zunehmenden ökonomischen Spannungen versuchte man in Minsk auch mit einem
geopolitischen Spagat zu begegnen, bei dem eine Annäherung an die Europäische
Union – unter Beibehaltung enger Beziehungen mit Moskau – forciert wird. Anfang
Mai gelang es Belarus sogar, gemeinsam mit fünf weiteren postsowjetischen
Republiken in das europäische Programm der »Ostpartnerschaft« aufgenommen zu
werden, in dessen Verlauf Brüssel 600 Millionen Euro zur ökonomischen Anbindung
dieser Länder an die EU aufwenden will. Solch ein Spagat kann offensichtlich
nicht lange aufrechterhalten werden, da die gegensätzlichen Forderungen Brüssels
und Moskaus an Minsk – beispielsweise bei der Frage der Anerkennung Abchasiens
und Südossetiens – nicht permanent hinausgeschoben werden können.
So drohte denn auch Lukaschenko am Wochenende damit, sich nicht mehr länger vor
Rußland »verneigen« zu wollen und notfalls das »Glück mit anderen Partnern in
der Welt« zu suchen. In der russischen Presse hieß es daraufhin, daß Lukaschenko
das »Bündnis mit Rußland aufs Spiel« setze. »Lukaschenkos einzige Hoffnung sind
politisch motivierte Kredite aus dem Westen, die durch den Verzicht von Minsk
auf die Union mit Rußland bedingt wären«, so zitierte die Nachrichtenagentur
RIA-Nowosti Alexander Fadejew vom Moskauer Institut der GUS-Staaten.
Die anhaltenden Querelen zwischen Rußland und Belarus schlugen sich inzwischen
auch auf die öffentliche Meinung in beiden Ländern nieder. Jüngsten Umfragen
zufolge sprechen sich 55 Prozent der belarussischen Bevölkerung gegen eine Union
mit Rußland aus, wie sie eigentlich seit dem Unionsvertrag von 1997 angestrebt
wird. Auch in Rußland lehnten inzwischen 46 Prozent aller Befragten diese Union
ab.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/06-05/034.php