junge Welt
06.03.2009 / Schwerpunkt / Seite 3
Die Medien sind im Krieg fester Bestandteil der
psychologischen Kriegsführung, ebenso bei der Vorbereitung
einer Aggression. Spektakulärer als die Irak-Kriegslügen der
Bush-Regierung waren nur noch die der NATO zur Vorbereitung
ihres völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Jugoslawien
1999, vom »Hufeisenplan« und »Racak-Massaker« bis zur
ständigen Beschwörung des angeblichen serbischen Genozids an
den Kosovo-Albanern. Der begnadete Propagandist und
NATO-Sprecher Dr. Jamie Shea stellte in seinen alltäglichen
Pressekonferenzen wiederholt die Frage nach den
»hunderttausend jungen Albanern, die verschwunden sind,
wahrscheinlich ermordet«. Sie waren weder verschwunden, noch
ermordet, denn im Kosovo gab es keinen Völkermord. Das hat
inzwischen sogar die NATO eingeräumt. Die Zahl der
Kriegstoten belief sich auf 2786, und sie verteilt sich etwa
zur Hälfte auf Serben und Albaner, wobei die meisten Opfer
als »Kollateralschäden« im NATO-Bombenhagel gestorben sind.
Der ständig grinsende Jamie Shea beherrschte die Klaviatur
der Kriegspropaganda wie kaum ein anderer. Die Vertreter der
von ihm zur »Vierten Waffengattung« erhobenen Konzern-Medien
erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen und verbreiteten
vor zehn Jahren ohne kritische Nachfragen seine Kriegshetze.
In einem Lobgesang auf das »rhetorische Maschinengewehr« der
NATO im Zeitalter der ständigen »Umfrage getesteten
politischen Manipulation« hatte die Washington Post am 10.
Juni 1999 unmittelbar vor dem Ende des Jugoslawien-Krieges
getitelt: »Jamie Shea, die überzeugende Kraft der NATO«.
Bereits in seiner Dissertation »Die französischen
Intellektuellen und der Große Krieg 1914–1918« ist der
britische Historiker Jamie Shea hauptsächlich der Frage
nachgegangen, wie sich die Wahrheit über den Krieg verbergen
läßt. Seine akademischen Anstrengungen sicherten ihm einen
Platz in der NATO, wo er seine Theorie in die Praxis
umsetzen konnte: Wahrheit ist nur eine andere Form von
Propaganda. Sein Erfolg, die NATO-Aggression als humanitäre
Intervention zu verkaufen, zeigt, daß Shea nicht nur
beruflich, sondern aus Berufung eine Kriegspropagandist ist.
Nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien
hielt er Vorträge unter dem folgerichtigen Titel »Wie
verkauft man einen Krieg – Die ultimative Public-
Relations-Herausforderung«. Ungeniert beschrieb er, wie er
die öffentliche Meinung mit selektiven Nachrichten und
Übertreibungen manipuliert hatte. Für die renommierte Neue
Zürcher Zeitung war damit Sheas Glaubwürdigkeit und auch die
der NATO dahin. Weiter hieß es in der NZZ vom
29.3.2000: »Wenn nun ein kleiner Sprecher meint, alles sei
nur Public Relations und dies verkündet, setzt er seinen
Marktwert für die Mächtigen stark herab.« Letzteres stimmte
jedoch nicht, denn die NATO-Verantwortlichen wußten ihren
erfolgreichsten Propagandisten zu schätzen. Im Jahr 2000
wurde Shea mit dem Posten des Direktors des Büros für
Information und Presse belohnt, und 2005 avancierte er zum
Chef des politischen Planungsstabes des
NATO-Generalsekretärs in Brüssel, wo er fleißig weiter am
Verkauf imperialistischer Kriege arbeitet.
Der Autor dieser Zeilen hatte vor über 25 Jahren den jungen
Jamie Shea kennengelernt, als dieser frisch von der
Universität gekommen war und als Protokollschreiber im
NATO-Hauptquartier in Brüssel angefangen hatte. Anfang
Dezember 2006 hat er ihn wiedergesehen, als Shea zu einem
»Meinungsaustausch« im Unterausschuß des Europäischen
Parlaments für Verteidigung und Sicherheit in Brüssel
gekommen war. Nach einem bemühten Witz, wonach der von ihm
geprägte Begriff des »Kollateralschadens« ihn immer noch wie
eine »dunkle Wolke« verfolge, forderte Shea die weitere
Verbesserung der Zusammenarbeit von EU und NATO. Regional
solle das ehemals koloniale Afrika hauptsächlich in den
Zuständigkeitsbereich der EU fallen und der »Größere
Mittlere Osten« in den der NATO. Funktional solle die EU
sich mehr um die nichtmilitärischen Aspekte der gemeinsamen
»Sicherheitsinteressen« kümmern und die NATO sich mehr um
die militärischen. Aufgabe der Allianz sei es u.a., die
Energiesicherheit des Westens militärisch abzusichern. So
müsse auch die Straße von Hormus vor der Küste Irans von der
NATO offengehalten werden. Da Teheran jedoch erklärt hat, im
Fall eines militärischen Angriffs der USA oder Israels diese
Seepassage zu blockieren, würden nach Sheas Plan alle
NATO-Staaten automatisch in einen US- amerikanischen
und/oder israelischen Krieg am Golf mit hineingezogen.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/03-06/012.php