Aus: trikont, Beilage der jW vom 10.09.2008
Im Schatten des Atomdeals
Wie Washington versucht, Indien zum »verantwortungsvollen Stellvertreter« in Asien zu machen. Derweil verliert der Subkontinent an Einfluß unter den Blockfreien
Von Hilmar König, Neu-Delhi
Kolkata (ehemals: Kalkutta) am 1. September 2008: Über 100 000
Menschen
demonstrieren gegen den Atomdeal Indiens mit den USA Foto: AP
Indiens Regierung der Vereinten Progressiven Allianz hat den größten Teil
ihrer nun allmählich zu Ende gehenden fünfjährigen Amtszeit auf außenpolitischem
Gebiet einer Aufgabe gewidmet – den Atompakt mit den USA unter Dach und Fach zu
bringen. Dieser sieht eine Zusammenarbeit im zivilen nuklearen Bereich vor, vor
allem die Lieferung von Atommeilern und Nuklearbrennstoff. Und das, obwohl
Neu-Delhi weder das Teststoppabkommen noch den Atomwaffensperrvertrag
unterzeichnet hat, sondern ganz im Gegenteil im Jahre 1998 seinen Atomstatus mit
neuerlichen Tests noch bekräftigte.
Abgesehen von den kommerziellen Aspekten entschloß sich Washington zu diesem
Pakt besonders wegen kühler strategischer Überlegungen. Es brauchte in Asien
einen »verantwortungsbewußten Stellvertreter« zur Durchsetzung globaler
US-amerikanischer Hegemonialansprüche. Genau das war der Hauptgrund der
indischen Linken, diesen Pakt vehement abzulehnen. Neu-Delhi war für das
Abkommen nur mit einem außergewöhnlichen Angebot zu gewinnen. Traditionell
verhielt es sich bis dahin gegenüber der Supermacht zurückhaltend und eher
argwöhnisch.
Der Offerte der USA, auf dem zivilen Nuklearsektor zu kooperieren und damit die
seit 1974 bestehenden und mehrfach verschärften Sanktionen im Nuklearhandel zu
beenden, konnte Neu-Delhi jedoch nicht widerstehen. Die über Jahrzehnte währende
Isolierung auf diesem Gebiet hatte die Entwicklung der indischen Atomindustrie
zwar nicht zum Stillstand gebracht, doch empfindlich behindert. So wurde das
Abkommen im Juli 2005 unterzeichnet, bedurfte allerdings noch der Genehmigung
der Internationalen Atomenergieagentur und einer Ausnahmeregelung der 45
Mitgliedstaaten der Nuclear Suppliers Group. Diese »überwacht« den zivilen
Nuklearhandel und gab Indien am 6. September grünes Licht für den Deal.
Im Schatten des Ringens um den Atomdeal spielte sich der »Rest« der indischen
Außenpolitik ab. Deren Hauptaufgabe besteht darin, für ein günstiges äußeres
Umfeld zu sorgen für Indiens Transformationsprozeß von einem armen,
übervölkerten Entwicklungsland zu einem kapitalistischen Industriestaat, zu
einer Regionalmacht mit Ansprüchen auf einen »Global Player« in einer vom
internationalen Finanzkapital dirigierten Welt. Die Außenpolitik hat ihren
Beitrag zu leisten zur Liberalisierung und zu den marktwirtschaftlichen
Reformen, zur Absicherung hoher Wirtschaftswachstumsraten, zum Fortschreiten des
»erwachenden Riesen« oder des Schwellenlandes, wie es Fachleute formulieren.
Dabei spielt eine »friedliche Peripherie«, das Verhältnis zu den südasiatischen
Nachbarn, die allesamt reichlich mit inneren Problemen zu kämpfen haben, und die
Mitwirkung in der Südasiatischen Assoziation für Regionalkooperation (SAARC)
eine entscheidende Rolle. Zur Peripherie zählen auch China, Myanmar und andere
südostasiatische Staaten. Die Beziehungen zwischen Peking und Neu-Delhi haben
sich in den letzten 20 Jahren zwar verbessert, doch bleiben vor dem Hintergrund
eines verzwickten Grenzproblems noch beträchtliches Mißtrauen und Unbehagen.
Unter seiner »Look East Policy« versteht Indien vor allem die Intensivierung der
Handelsbeziehungen zur ASEAN (Assoziation Südostasiatischer Nationen) und zum
ostasiatischen Raum. Rußland ist nach wie vor ein wichtiger Partner in der
militärischen Zusammenarbeit, aber längst nicht mehr so dominierend wie zu
Sowjetzeiten. Die EU nimmt einen prominenten Platz im indischen Außenhandel ein.
Seinen maßgeblichen Einfluß auf die Bewegung der paktfreien Staaten, die
Jawaharlal Nehru in den 1950er Jahren mit aus der Taufe hob und die lange einen
Eckpfeiler indischer Außenpolitk bildete, hat Neu-Delhi in den 1990er Jahren
angesichts schwindender Relevanz der Paktfreien in einer von den USA
angestrebten unipolaren Welt aufgegeben. Als »Ersatz« dafür setzt es nun auf
Allianzen der Süd-Süd-Kooperation, die sich über Kontinente erstrecken. Das
herausragende Beispiel liefert die Brasilien-Indien-Südafrika-Gruppe, die vor
allem auf wirtschaftlichem und technologischem Gebiet kooperiert und bei den
Debatten in der Welthandelsorganisation (WTO) oft im Interesse der
Entwicklungsländer ein ernstzunehmendes Gegengewicht zu den Positionen des
Westens bildet.
Ein Ausrufezeichen setzte Indien im April mit dem ersten »India-Africa Forum
Summit«, an dem sich Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister aus 14
Ländern des schwarzen Kontinents beteiligten. Premier Manmohan Singh formulierte
in seiner Abschlußerklärung das beiderseitige Anliegen, »das 21. Jahrhundert zu
dem Afrikas und Asiens zu machen«. Neu-Delhi untermauerte das mit
bemerkenswerter finanzieller und materieller Entwicklungshilfe. Die Zeitung The
Hindu schrieb, die wirkliche Bedeutung dieses Gipfels habe darin gelegen, daß
»zwei aufstrebende Regionen im veränderten Umfeld des 21. Jahrhunderts bewußt
den Prozeß der gegenseitigen Wiederentdeckung in Angriff genommen haben».
Quelle: http://www.jungewelt.de/beilage/art/1807