EU-Position
Erst verurteilen, dann untersuchen
Von Knut Mellenthin
Erst in der zweiten Septemberhälfte, zwei Monate später als geplant, will die
von der EU eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Ursachen und des Verlaufs
des georgisch-russischen Kriegs ihren Abschlußbericht vorlegen. Die Leiterin des
Ausschusses, die Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini, begründete die
Verschiebung am 10. Juli damit, daß neue Dokumente vorlägen. Einfluß auf die
Politik kann der Bericht ohnehin nicht mehr haben. Durch die Verschiebung wurde
er außerdem aus den Diskussionen und Veröffentlichungen rund um den ersten
Jahrestag des georgischen Überfalls herausgehalten.
Die Kommission war Ende November vorigen Jahres gebildet worden. Außer
Tagliavini und zwei Stellvertretern gehören ihr zehn Mitglieder, darunter
Völkerrechtler, Politikwissenschaftler und Militärs, an. Die Durchführung einer
solchen Untersuchung hatten Deutschland und Italien schon Anfang September 2008
vorgeschlagen. »Die Frage, wer an der Eskalation des bewaffneten Konflikts
beteiligt war, und mit welchen Motiven, ist wichtig für unsere Überlegungen über
die künftigen Beziehungen zu den Konfliktparteien«, hatte Frank-Walter
Steinmeier die Idee damals begründet.
Das war im Grunde nicht falsch gedacht, aber dazu wäre ein sehr viel rascheres,
zeitnahes Vorgehen erforderlich gewesen. Schon als der Bundesaußenminister sich
für die Untersuchung einsetzte, war fast ein Monat vergangen, in dem die gesamte
EU Rußland der Aggression beschuldigt und ihre Solidarität mit dem Aggressor
Georgien beteuert hatte. Anscheinend ohne Kenntnis und Würdigung der Tatsachen,
wie man aus der späteren Einsetzung der Tagliavini-Kommission schlußfolgern muß.
Deren Arbeit war von vornherein durch die einseitige Parteinahme der EU
belastet. Es ist nicht zu erwarten, daß die Kommission nachträglich der
Richtungsentscheidung der europäischen Regierungen widersprechen wird.
Bestenfalls kann ein »ausgewogener« Bericht zustande kommen, der die Vorwürfe
gleichmäßig auf alle Beteiligten verteilt.
Quelle: junge Welt 07.08.2009
http://www.jungewelt.de/2009/08-07/051.php