Während das »befreite« Afghanistan, begleitet von
(Selbstmord-)Anschlägen der »Taliban« und unter dem »Schutz« der
NATO-Bajonette, seinen neuen (alten) Präsidenten wählte, darben
weiterhin Tausende des Terrorismus bezichtigte Gefangene
weitestgehend rechtlos in den US-Sonderlagern des besetzten
Landes.
Die US-Zeitung McClatchy Newspapers hatte Mitte Juni 2008 eine
Artikelfolge publiziert, in der auf Grundlage von Aussagen
Betroffener eklatante Mißhandlungen von »Terrorverdächtigen«
durch amerikanische Soldaten in Afghanistan aufgedeckt wurden
(siehe Teil I). Beinahe zeitgleich mit dieser Serie
veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation »Physicians for
Human Rights« (Ärzte für Menschenrechte, PHR) einen umfassenden
Untersuchungsbericht über elf ehemalige Gefangene der USA im »Anti-Terrror«-Krieg.
Ärzte, Psychiater und Psychologen von PHR untersuchten elf
Gefangene, die über einen längeren Zeitraum in dem von den USA
nach dem 11. September 2001 etablierten Gefängnissystem
interniert worden waren. Alle von ihnen wurden schließlich ohne
Anklage freigelassen. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß
es vor allem in den US-Gefängnissen in Afghanistan zu Mißbrauch
und Mißhandlungen kam, und daß viele der Gefangenen aufgrund
falscher Anschuldigungen festgehalten wurden. Als Nahrung hätten
die Gefangenen nur kalte Mahlzeiten erhalten, ungenießbares
verschimmeltes Brot, Getreide und Bonbons und viel zu wenig
Wasser, erinnert sich ein Gefangener namens Adeel. Viele, auch
er selbst, seien davon krank geworden. Manche Gefangene seien
über Monate mit Handschellen gefesselt gewesen. Auch sei ihm
keine Matratze zur Verfügung gestellt worden, so daß er auf dem
nackten Holzboden habe schlafen müssen. Selbst Zahnbürste und
Zahnpasta habe man ihm vorenthalten. Er habe in Bagram so gut
wie nicht schlafen können, so Adeel, da der Sektor in dem Hangar
24 Stunden am Tag mit sehr starkem Licht beleuchtet war und die
ganze Zeit über laute Rockmusik gespielt wurde. Infolge all
dieser Bedingungen habe er jedes Zeitgefühl verloren und nicht
mehr zwischen Nacht und Tag unterscheiden können. Manche der
Gefangenen, einschließlich er selbst, seien nie nach draußen
gebracht worden. »Zwei Monate lang habe ich die Sonne nicht
gesehen«, sagte Adeel.
»Der Körper hält das nicht aus«
Die an den Gefangenen in den US-Einrichtungen in Bagram und
Kandahar verübte Gewalt schloß Prügel mit Stöcken und Fäusten
ein, Tritte in den Magen und die Genitalien und Schläge auf den
Kopf. Haydar, der vor seinem Transfer nach Guantánamo in
Kandahar gefangengehalten wurde, verlor in der Folge drei Zähne,
und Rasheed, der sowohl in den Einrichtungen von Bagram als auch
von Kandahar eingekerkert war, verlor das Bewußtsein und mußte
in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Youssef, Anfang dreißig,
Ende 2001 oder Anfang 2002 an der afghanisch-pakistanischen
Grenze festgenommen, wurde in Kandahar bei Verhören mit Stöcken
und Fäusten geschlagen und auch getreten. Während der Zeit in
Kandahar war Youssef häufig über längere Zeiträume nackt, oder
sein Kopf wurde mit einer Kapuze verhüllt, er wurde mittels
Hunden eingeschüchtert und wiederholt attackiert, indem man ihn
mit Gewalt gegen eine Mauer warf. Auch verabreichte man ihm
Elektroschocks, wobei er das Gefühl hatte, »als ob meine Venen
herausgezogen würden«. Nach ungefähr sechs Wochen wurde er nach
Guantánamo ausgeflogen.
Auch der Deutschtürke Murat Kurnaz, der nach einer Reise in die
Region im Jahr 2001, kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland,
von der pakistanischen Polizei festgenommen und von dieser für
3000 Dollar an die US-Streitkräfte verkauft wurde, berichtete1,
daß ihm während seiner Gefangenschaft auf dem
US-Militärstützpunkt in Kandahar wiederholt Elektroschocks
verabreicht wurden, während ihn seine Peiniger verhörten.
Während der Prozedur kann Kurnaz seine Schreie hören. »Aber es
ist, als kämen sie gar nicht von mir. Sie kommen wie von selbst.
Ich zucke am ganzen Körper.« Den Vernehmer hört er kaum noch.
»Ich weiß nur: Entweder werde ich in Ohnmacht fallen oder
sterben. Aber immer wieder zieht er die Elektroden von meinen
Füßen weg. Das ist das Schlimmste: So kehrt der Schmerz wieder,
bis man glaubt, es nicht mehr aushalten zu können.«
Auch von ausgeklügelten, an die mittelalterliche Inquisition
erinnernden Folterpraktiken berichtet Kurnaz. Auf dem Weg zum
Verhör habe ihn das »Escort-Team« in einen Verschlag aus
Blechwänden und NATO-Draht geführt. Dort sei er mit einer Kette
an einem Haken aufgehängt worden, der an einem Balken befestigt
war, »wie in einer Fleischerei«. »Die Soldaten nehmen die Kette
und führen sie unter meinen Handschellen hindurch. Die Kette
läuft über den Haken, wie bei einem Flaschenzug. Am Haken ist
eine Rolle befestigt. Ich werde daran hochgezogen, bis meine
Füße den Boden nicht mehr berühren. Sie arretieren die Kette an
dem Balken. (…) Die Handschellen schnüren das Blut in meinen
Händen ab. Ich versuche mich zu bewegen. Ich kann meine
Schultern anziehen, meinen Kopf im Nacken rollen und die Beine
schwingen. (…) Nach einer Weile scheinen die Handschellen direkt
in die Knochen zu schneiden. Die Schultern fühlen sich an, als
reiße jemand unablässig an meinen Armen. (…) jede Bewegung
schmerzt, und sei sie noch so klein. Vor allem in den
Handgelenken und an den Ellenbogen. (… ) Ich weiß jetzt, man
kann sehr schnell sterben dabei. Der Körper hält das nicht aus.«
Fünf Tage ist Murat Kurnaz auf diese Weise aufgehängt. Dreimal
am Tag wird er von Soldaten heruntergelassen und von einem Arzt
inspiziert. Seine Hände sind geschwollen, sie schmerzen nur am
Anfang, danach spürt er sie nicht mehr. Neue Schmerzen, nun an
anderen Stellen des Körpers, wie in der Herzgegend, stellen sich
ein. Immer wieder kommt der Vernehmer, will wissen, ob der
Gefangene seine Meinung geändert hat, stellt immer wieder die
gleichen Fragen. »Als sie mich wieder herunterlassen, kann ich
nicht mehr stehen. Meine Beine knicken ein, als wären sie
Streichhölzer, und ich falle zu Boden«. Doch immer wieder ist
ein Arzt zur Stelle, um den Gefangenen am Leben und damit
leidens- und aussagefähig zu erhalten. »Als sie mich dann von
hinten aufhängen, fühlt es sich an, als würden meine Schultern
brechen. Sie binden meine Hände hinter meinem Rücken und ziehen
mich herauf.« Während dieser Prozedur wird Kurnaz Zeuge des
Todes eines anderen, auf ähnliche Weise aufgehängten Gefangenen:
»Ich kenne den Mann nicht. Er hängt wie ich mit den Händen nach
oben von der Decke herab. Ich kann nicht sagen, ob er tot ist.
Sein Körper ist angeschwollen und blau. Nur an manchen Stellen
ist er fahl und weiß. Ich sehe, daß viel Blut in seinem Gesicht
klebt, es ist geronnen und ganz schwarz. Sein Kopf hängt zur
Seite. (…) Ich glaube, der Mann ist tot. Er sieht aus wie einer,
der im Schnee erfroren ist.« »Heute weiß ich«, schreibt Murat
Kurnaz rückblickend, »daß viele so gestorben sind. Auch andere
Gefangene haben mitangesehen, wie Leute beim Aufhängen starben.«
Immer wieder seien Leute von einem Verhör nicht zurückgekehrt,
das habe sich in Guantánamo herumgesprochen.
Todesursache: Mord
Die Brutalität in Bagram eskalierte im Dezember 2002, als
US-Soldaten in einem infamen Akt der Brutalität zwei afghanische
Gefangene, Habibullah und Dilawar, zu Tode prügelten, nachdem
sie diese zuvor an ihren Handgelenken aufgehängt hatten. Beide
starben nur wenige Tage nach ihrer Inhaftierung, ganz
offensichtlich an den Folgen von Folter. Über diese Todesfälle
wurde in den folgenden Jahren vielfach berichtet. Die nach
erfolgter Autopsie von der US-Militärpathologin Elizabeth Rouse,
damals Oberstleutnant der US-Luftwaffe, ausgestellten
Totenscheine nennen als Todesursache Mord. Der 30jährige Mullah
Habibullah – Bruder eines Taliban-Kommandeurs – kam Anfang
Dezember 2002 ums Leben. Er war immer wieder Ziel sogenannter
peronealer (von »perone«, giechisch: Wadenbein, den Nervus
peronaeus betreffend; A.B.) und anderer Schläge und wurde häufig
gefesselt. Habibullahs Tod »ist auf die schweren Verletzungen an
seinen Beinen zurückzuführen, die wahrscheinlich ein
Blutgerinnsel hervorriefen, das bis zum Herz wanderte und die
Blutzufuhr der Lunge blockierte«. Der Verteidiger eines im Falle
Habibullah angeklagten Soldaten sagte: »Mein Mandant hat stets
in Übereinstimmung mit den Standardverfahrensregeln gehandelt,
die in den Einrichtungen in Bagram galten.«
Dilawar, ein 22jähriger Zivilist, Vater eines kleinen Kindes,
wurde festgenommen, als er mit seinem Taxi in der Nähe einer
US-Militärbasis unterwegs war. Das US-Militär beschuldigte ihn,
ein Kurier für Al-Qaida zu sein, dabei war er sehr
wahrscheinlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Er starb
am 10. Dezember, sieben Tage nach dem Tod von Habibullah, wie
dieser zu Tode geprügelt von US-Vernehmungsbeamten. Seine Beine
wiesen vielfache Verletzungen auf, hervorgerufen ebenfalls durch
»peroneale« Schläge. Ein Militärpolizist sagte aus, Dilawar sei
innerhalb von 24 Stunden mehr als hundertmal auf diese Art und
Weise geschlagen worden. Er wurde »während der letzten vier Tage
an den Handgelenken an der Zellendecke angekettet, was dann zu
seinem Tod geführt« habe. Die Verletzungen, die ihm zugefügt
wurden, werden im Totenschein so beschrieben: »Verletzungen
durch Gewaltanwendung mit stumpfen Gegenständen gegen seine
unteren Extremitäten, die eine Erkrankung der Herzschlagader
verstärkten.«
Ein an der Obduktion beteiligter Militärpathologe sagte aus, das
Gewebe der Beine sei regelrecht »zu Brei zermahlen worden«. Laut
seiner Kollegin Elizabeth Rouse war das Gewebe »am
Auseinanderfallen«. Sie gab an, »vergleichbare Verletzungen bei
von Bussen überrollten« Personen beobachtet zu haben. In einer
beeidigten Zeugenaussage sagte Rouse, daß die Verletzungen der
Beine »so ausgeprägt« gewesen seien, daß aller
Wahrscheinlichkeit nach »eine Amputation nötig gewesen wäre«.
Dilawars Schicksal ist in dem Dokumentarfilm »Taxi to the dark
side« bedrückend nachgezeichnet. US-Soldaten berichten in der
Dokumentation, wie sie Gefangene mit Haken an der Decke
aufgehängt haben, Amateurfotos zeigen blutverschmierte
Drahtkäfige, in denen die Insassen hausen mußten.
Christopher Beiring, Hauptmann der US-Armee, der die 377.
Militärpolizeikompanie von Sommer 2002 bis Frühjahr 2003
kommandierte, ist der einzige amerikanische Offizier, der für
die Morde an Habibullah und Dilawar zur Verantwortung gezogen
wurde. Er kam mit einem »Verweis« davon. Beiring erzählte den
Militärermittlern, er habe keine förmliche Schulung erhalten,
wie man eine Kompanie der Militärpolizei führt, nur eine kurze
Einweisung und Training »on-the-job«. Willie V. Brand, der
Soldat, gegen den die schwerwiegendsten Anklagen erhoben wurden,
gab zu, daß er Dilawar während der Sitzung in einer
Isolationszelle ungefähr 37mal geschlagen habe, 30mal allein auf
den besonders empfindlichen Bereich um die Knie. Brand, dem für
diese Tat bis zu elf Jahren Gefängnis drohten, wurde lediglich
zum Gefreiten degradiert, nachdem man ihn für schuldig befunden
hatte, Dilawar attackiert und verstümmelt zu haben.
»Jeder schlug einen Gefangenen«
Im Rahmen der Militäruntersuchung nach dem Tod von Habibullah
und Dilawar bezeugten US-Soldaten, daß die Mißhandlung von
Gefangenen in Bagram vom Sommer 2002 bis Frühjahr 2003, also
über eine Zeitspanne von sieben Monaten, exzessive Formen
angenommen habe. Ehemaligen US-Wachsoldaten zufolge seien die
Gefangenen oft wegen der kleinsten Regelverletzung geschlagen
worden. Abdul Haleem, ein Pakistani, gab an, daß ihn US-Soldaten
im Jahr 2003 in Bagram auf den Boden geworfen und gegen seinen
Kopf getreten hätten, »als ob sie Fußball spielen würden«. Adel
Al-Zamel, ein Kuwaiti, berichtete, Wachen hätten ihn in Bagram
im Lauf des Frühjahrs 2002 häufig mit Stöcken bedroht und
gedroht, ihn zu vergewaltigen, auch erinnere er sich noch an die
»Schreie aus dem Verhörraum« von Gefangenen, die in Bagram
geschlagen wurden.
»Ab einem gewissen Zeitpunkt schlug jeder einen Gefangenen«,
rechtfertigte sich Brian Cammack, ein früherer Verhörspezialist
der 377. Kompanie, gegenüber den Militärermittlern. Cammack
wurde zu drei Monaten Militärhaft verurteilt und unehrenhaft aus
der Army entlassen, weil er Habibullah geschlagen hatte. Der
Soldat Jeremy Callaway, der von August 2002 bis Januar 2003 in
der 377. Militärpolizeikompanie diente und zugab, etwa zwölf
Gefangene in Bagram geschlagen zu haben, erklärte den Ermittlern
in einem beeidigten Zeugnis, er habe ein ungutes Gefühl dabei
gehabt, Befehlen, »die Gefangenen psychisch und physisch zu
brechen«, Folge zu leisten. »Ich denke, man kann das Folter
nennen«, sagte er.
Captain (Hauptmann) Carolyn Wood, der die Vernehmer in Bagram
unterstanden, wurde im Sommer 2003 ins Gefängnis Abu Ghraib im
Irak geschickt und leitete dort ab August die Vernehmungen. Als
Kommandeurin über 20 Analytiker und nachrichtendienstliche
Vernehmer hatte Wood seit Juli 2002 in Bagram die
Verhörtechniken ausgeweitet: u. a. durch den Einsatz von
Streßpositionen, bis zu 30 Tage dauernder Isolationshaft, die
Wegnahme von Kleidungsstücken und die Ausbeutung von Ängsten der
Gefangenen wie etwa vor bellenden Hunden. Im Gefängnis Abu
Ghraib waren ihre Erfahrungen aus dem Folterlager Bagram
gefragt. Für ihren vorbildlichen Einsatz in Afghanistan und im
Irak wurde Wood von der US-Army später mit zwei »Bronze Stars«
belohnt.
Der einzige US-Amerikaner, der für seine Mitwirkung an der
Mißhandlung und Tötung von US-Gefangenen in Afghanistan bis
heute ernsthaft bestraft wurde, ist David A. Passaro, damals
Mitarbeiter eines paramilitärischen CIA-Vertragsunternehmens.
Der frühere Special- Forces-Sanitäter und US-Army-Ranger wurde
zu acht Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem
ein US-Gericht ihn für schuldig befunden hatte, den daraufhin am
21. Juni 2003 verstorbenen afghanischen Bauern Abdul Wali auf
dem US-Militärstützpunkt bei Asabad zwei Nächte lang brutalst
mißhandelt zu haben.
»... um sie leiden zu lassen«
Nach entsprechenden Vorwürfen, Gefangene in Bagram bei Verhören
zwischen August 2002 und Februar 2003 vergewaltigt bzw. mit
Vergewaltigung bedroht zu haben, wurde Private First Class
Damien Corsetti im Jahr 2005 in einem Militärgerichtsverfahren
vom Vorwurf des Fehlverhaltens im Dienst, der Mißhandlung und
der Begehung von Tätlichkeiten und anstößigen Handlungen an
Gefangenen freigesprochen. Corsetti, dem seine Kollegen im
Gefängnis von Bagram der New York Times zufolge den Spitznamen
»König der Folter« oder »Monster« gaben, gehörte darüber hinaus
zu jenen Personen, gegen die im Folterskandal von Abu Ghraib
zwar ermittelt, die aber nicht angeklagt wurden. Im Interview
mit der spanischen Tageszeitung El Mundo2 beschrieb Corsetti,
inzwischen a. D., die »moralisch inakzeptablen« Fälle physischer
und psychischer Folter, deren Zeuge er in den Gefängnissen von
Bagram und Abu Ghraib geworden sei. Gegenüber El Mundo gab
Corsetti an, die übergroße Mehrheit der Personen, die er im
Rahmen seines Dienstes befragt habe, »hatten weder mit den
Taliban noch mit Al-Qaida irgend etwas zu tun«. Viele Gefangene
seien gefoltert worden, »um sie leiden zu lassen, nicht um
Informationen von ihnen zu erhalten«. Nach einem nur
fünfstündigen Kurs wurde der damals 22jährige seinen Angaben
zufolge zur Informationsgewinnung auf die Gefangenen im
Gefängnis von Bagram losgelassen – Gefangene, die nach Corsettis
Meinung »in 98 Prozent der Fälle weder mit den Taliban noch mit
Al-Qaida irgend etwas zu tun hatten«. Viele waren einfache
Bauern.
Corsetti schilderte die harten Bedingungen im Gefängnis von
Bagram. »Jeder Gefangene hat in seiner Zelle einen Teppich von
1,20 auf 2,50 Meter. Und sie sitzen 23 Stunden am Tag darauf,
schweigend. Wenn sie sprechen, werden sie für 20 Minuten an die
Decke gekettet, und schwarze Masken werden ihnen aufgesetzt, so
daß sie nichts sehen können, und Ohrenschützer werden ihnen
angelegt, so daß sie nichts hören können. Einmal in der Woche
bringt man sie in den Keller (des Gebäudes), in Gruppen von fünf
oder sechs, um sie zu duschen. Man tut es, um sie verrückt zu
machen.« Außer den normalen Zellen gab es im Keller des
Gefängnisses sechs Isolationszellen, dazu zwei Räume für
diejenigen, welche die Soldaten als »besondere Gäste«
bezeichneten.
In dieser »Unterwelt« des Gefängnisses von Bagram habe die CIA
mutmaßliche Führer von Al-Qaida gefoltert. Corsetti gegenüber El
Mundo: »Eines Tages ging ich zu einer Verhörsitzung, und schon
als ich eintraf, wußte ich, das ist kein normaler Fall. Da waren
Zivilisten, darunter ein Arzt und ein Psychiater. Der Gefangene
wurde Omar Al-Faruq genannt, ein asiatischer Al-Qaida-Führer,
der von einem jener (Geheim-)Dienste ins Gefängnis gebracht
worden war«, erinnert sich Corsetti. »Ich möchte nicht in die
Einzelheiten gehen, denn das könnte für mein Land negativ sein,
aber er wurde brutal geschlagen – täglich. Und auf andere Weise
gefoltert. Er war ein schlechter Mann, aber das hat er nicht
verdient«. In einer Aktion, die manchen Quellen zufolge von den
USA toleriert wurde, flüchtete Al-Faruq aus dem Gefängnis in
Bagram. Er wurde schließlich im April 2006 von den Briten in
Basra (Irak) getötet.
Corsetti behauptete, selbst niemals an Folterungen teilgenommen
zu haben. »Mein ganzer Job bestand darin, dazusitzen und
sicherzustellen, daß der Gefangene nicht starb. Aber mehrmals
dachte ich, sie wären dabei zu sterben, wenn sie von jenen
Leuten verhört wurden, die keinen Namen haben und für niemanden
im besonderen arbeiten. Es ist unglaublich, was ein menschliches
Wesen aushalten kann«, so Corsetti im Rückblick. »Al-Faruq sah
mich an, während sie ihn folterten, und ich habe diesen Blick in
meinem Kopf. Und die Schreie, die Gerüche, die Geräusche, sie
sind ständig bei mir. Es ist etwas, das ich nicht loswerden
kann. Die Schreie der Gefangenen nach ihren Angehörigen, ihrer
Mutter. Ich erinnere mich an einen, der nach Gott gerufen hat,
nach Allah, die ganze Zeit. Ich habe diese Schreie hier, in
meinem Kopf.«
»In Abu Ghraib und Bagram wurden sie gefoltert, um sie leiden zu
lassen, nicht um Informationen von ihnen zu erhalten«,
bekräftige Corsetti. Die Folter habe manchmal kein anderes Ziel
gehabt, als »sie dafür zu bestrafen, daß sie Terroristen sind.
Sie folterten sie und stellten ihnen keinerlei Fragen«. So etwa
bei der Praxis, die als das »U-Boot« (Waterboarding) bekannt
ist, dem simulierten Ertränken des Gefangenen. Die Zivilisten,
die an den Verhören teilnahmen, hätten das »U-Boot« nach Lust
und Laune, alle fünf oder zehn Minuten, angewandt, ohne irgend
etwas zu fragen, so Corsetti. Andere Folterungen beinhalteten
Corsetti zufolge die Anwendung von extremer Kälte und Hitze.
»Ich erinnere mich an einen meiner Gefangenen, der vor Kälte
zitterte. Seine Zähne hörten nicht auf zu klappern. (…) Man sah,
daß dieser Mann dabei war, an Unterkühlung zu sterben. Aber die
Ärzte waren da, so daß sie nicht starben, so daß es möglich war,
sie einen weiteren Tag zu foltern«. Zu anderen Zeiten wurden die
Gefangenen laut Corsetti mit extremem Licht geblendet.
Psychische Folter
Von großer Bedeutung war Corsetti zufolge die psychische Folter
unter der Anleitung von Psychiatern. »Sie haben ihnen erzählt,
daß sie ihre Kinder töten, ihre Frauen vergewaltigen werden. Und
man hat in ihren Gesichtern, in ihren Augen ihr Entsetzen
gesehen. Wir kennen die Namen ihrer Kinder, wo sie leben – wir
zeigen ihnen Satelliten-Aufnahmen von ihren Häusern. Es ist
schlimmer als jede Folter. Das ist moralisch unter keinen
Umständen akzeptabel, nicht einmal beim schlimmsten Terroristen
der Welt«, so Corsetti, der hinzufügte: »Manchmal ließen wir
eine unserer Frauen (weibliches US-Militärpersonal) in einer
Burka (Ganzkörperschleier – d. Red.) durch die Verhörraume
gehen, und wir sagten ihnen: ›Das ist deine Frau‹. Und der
Gefangene glaubte es. Warum sollten sie nicht! Wir hatten diese
Leute davor eine Woche lang nicht schlafen lassen. Nach zwei
oder drei Tagen ohne Schlaf glaubt man alles. (…) Die Gefangenen
hatten Halluzinationen. (…) Man ist in einer Zelle, wo sie einen
nur ab und an eine Viertelstunde schlafen lassen. Ohne Kontakt
zur Außenwelt. Ohne Sonnenlicht. Auf die Weise kommt einem ein
Tag wie eine Woche vor. Sie sind mental zerstört.«
Die Lehre, die Corsetti aus seiner Erfahrung als Vernehmer
gezogen haben will, ist, »daß Folter nicht funktioniert«. Es sei
»eine Sache, wenn man seine Beherrschung verliert und einem
Gefangenen einen Schlag versetzt, eine andere ist es, diese Akte
von Brutalität zu begehen«.
Im Herbst 2008 bekamen auch deutsche Diplomaten einen vagen
Eindruck von dem Folterlager Bagram. Nachdem die US-Armee einen
Deutsch-Afghanen monatelang festgehalten und sich schließlich
die Unschuld des Mannes herausgestellt hatte, holte ihn der
stellvertretende deutsche Botschafter in Bagram ab. Auch der
deutsche Gefangene berichtete von Schlägen, Isolationshaft und
Bedrohungen durch das US-Militär. In einem orangefarbenen
Overall sei er vorgeführt worden, an den Händen und Füßen mit
Stahlketten gefesselt, die Augen mit einer schwarzen Skimaske
bedeckt. In einer kleinen Holzbox, so die Diplomaten, habe man
mit dem Gefangenen reden dürfen, dabei seien schwerbewaffnete
Soldaten nicht von seiner Seite gewichen. Der Mann mußte noch
lange Zeit nach seiner Freilassung psychologisch betreut werden.
Doch sowohl dieser wie auch die vielen anderen »Kollateralschäden«
(vorzugsweise an leicht erfaßbaren zivilen Zielen wie
Hochzeitsgesellschaften) konnten die deutsche Bundesregierung
bislang nicht dazu bewegen, ihre Unterstützung des Krieges am
Hindukusch auf den Prüfstand zu stellen. Dabeisein, ist alles,
scheint hier einmal mehr die Devise zu sein – und zwar um jeden
Preis.
1 Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens, Berlin 2007. Alle
folgenden Zitate aus diesem Buch
2 El Mundo, 10.12.2007 (Englische Übersetzung auf der Website
von Prof. Juan Cole: »Former US interrogator recounts torture
cases in Afghanistan and Iraq« (
www.juancole.com/2007/12/former-us-interrogator-recounts-torture.html).
Die folgenden Zitate sind dieser Quelle entnommen
- Alexander Bahar veröffentlichte zuletzt: Folter im 21.
Jahrhundert. Auf dem Weg in ein neues Mittelalter? dtv,
München 2009, 300 S., brosch., 16,90 Euro (auch im jW-Shop
erhältlich)
Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/08-26/017.php