26.08.2009 / Thema / Seite 10

Dabeisein um jeden Preis

Hintergrund: Die Folterlager Afghanistans (Teil II und Schluß)

Alexander Bahar
 

Folter als Bestrafung – in US-geführten Haftanstalten in Afghanistan
gängige Praxis (Gefängnis von Shibarghan, 19.1.2002)   Foto: AP
Während das »befreite« Afghanistan, begleitet von (Selbstmord-)Anschlägen der »Taliban« und unter dem »Schutz« der NATO-Bajonette, seinen neuen (alten) Präsidenten wählte, darben weiterhin Tausende des Terrorismus bezichtigte Gefangene weitestgehend rechtlos in den US-Sonderlagern des besetzten Landes.
Die US-Zeitung McClatchy Newspapers hatte Mitte Juni 2008 eine Artikelfolge publiziert, in der auf Grundlage von Aussagen Betroffener eklatante Mißhandlungen von »Terrorverdächtigen« durch amerikanische Soldaten in Afghanistan aufgedeckt wurden (siehe Teil I). Beinahe zeitgleich mit dieser Serie veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation »Physicians for Human Rights« (Ärzte für Menschenrechte, PHR) einen umfassenden Untersuchungsbericht über elf ehemalige Gefangene der USA im »Anti-Terrror«-Krieg. Ärzte, Psychiater und Psychologen von PHR untersuchten elf Gefangene, die über einen längeren Zeitraum in dem von den USA nach dem 11. September 2001 etablierten Gefängnissystem interniert worden waren. Alle von ihnen wurden schließlich ohne Anklage freigelassen. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß es vor allem in den US-Gefängnissen in Afghanistan zu Mißbrauch und Mißhandlungen kam, und daß viele der Gefangenen aufgrund falscher Anschuldigungen festgehalten wurden. Als Nahrung hätten die Gefangenen nur kalte Mahlzeiten erhalten, ungenießbares verschimmeltes Brot, Getreide und Bonbons und viel zu wenig Wasser, erinnert sich ein Gefangener namens Adeel. Viele, auch er selbst, seien davon krank geworden. Manche Gefangene seien über Monate mit Handschellen gefesselt gewesen. Auch sei ihm keine Matratze zur Verfügung gestellt worden, so daß er auf dem nackten Holzboden habe schlafen müssen. Selbst Zahnbürste und Zahnpasta habe man ihm vorenthalten. Er habe in Bagram so gut wie nicht schlafen können, so Adeel, da der Sektor in dem Hangar 24 Stunden am Tag mit sehr starkem Licht beleuchtet war und die ganze Zeit über laute Rockmusik gespielt wurde. Infolge all dieser Bedingungen habe er jedes Zeitgefühl verloren und nicht mehr zwischen Nacht und Tag unterscheiden können. Manche der Gefangenen, einschließlich er selbst, seien nie nach draußen gebracht worden. »Zwei Monate lang habe ich die Sonne nicht gesehen«, sagte Adeel.

»Der Körper hält das nicht aus«

Die an den Gefangenen in den US-Einrichtungen in Bagram und Kandahar verübte Gewalt schloß Prügel mit Stöcken und Fäusten ein, Tritte in den Magen und die Genitalien und Schläge auf den Kopf. Haydar, der vor seinem Transfer nach Guantánamo in Kandahar gefangengehalten wurde, verlor in der Folge drei Zähne, und Rasheed, der sowohl in den Einrichtungen von Bagram als auch von Kandahar eingekerkert war, verlor das Bewußtsein und mußte in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Youssef, Anfang dreißig, Ende 2001 oder Anfang 2002 an der afghanisch-pakistanischen Grenze festgenommen, wurde in Kandahar bei Verhören mit Stöcken und Fäusten geschlagen und auch getreten. Während der Zeit in Kandahar war Youssef häufig über längere Zeiträume nackt, oder sein Kopf wurde mit einer Kapuze verhüllt, er wurde mittels Hunden eingeschüchtert und wiederholt attackiert, indem man ihn mit Gewalt gegen eine Mauer warf. Auch verabreichte man ihm Elektroschocks, wobei er das Gefühl hatte, »als ob meine Venen herausgezogen würden«. Nach ungefähr sechs Wochen wurde er nach Guantánamo ausgeflogen.

Auch der Deutschtürke Murat Kurnaz, der nach einer Reise in die Region im Jahr 2001, kurz vor seiner Rückkehr nach Deutschland, von der pakistanischen Polizei festgenommen und von dieser für 3000 Dollar an die US-Streitkräfte verkauft wurde, berichtete1, daß ihm während seiner Gefangenschaft auf dem US-Militärstützpunkt in Kandahar wiederholt Elektroschocks verabreicht wurden, während ihn seine Peiniger verhörten. Während der Prozedur kann Kurnaz seine Schreie hören. »Aber es ist, als kämen sie gar nicht von mir. Sie kommen wie von selbst. Ich zucke am ganzen Körper.« Den Vernehmer hört er kaum noch. »Ich weiß nur: Entweder werde ich in Ohnmacht fallen oder sterben. Aber immer wieder zieht er die Elektroden von meinen Füßen weg. Das ist das Schlimmste: So kehrt der Schmerz wieder, bis man glaubt, es nicht mehr aushalten zu können.«

Auch von ausgeklügelten, an die mittelalterliche Inquisition erinnernden Folterpraktiken berichtet Kurnaz. Auf dem Weg zum Verhör habe ihn das »Escort-Team« in einen Verschlag aus Blechwänden und NATO-Draht geführt. Dort sei er mit einer Kette an einem Haken aufgehängt worden, der an einem Balken befestigt war, »wie in einer Fleischerei«. »Die Soldaten nehmen die Kette und führen sie unter meinen Handschellen hindurch. Die Kette läuft über den Haken, wie bei einem Flaschenzug. Am Haken ist eine Rolle befestigt. Ich werde daran hochgezogen, bis meine Füße den Boden nicht mehr berühren. Sie arretieren die Kette an dem Balken. (…) Die Handschellen schnüren das Blut in meinen Händen ab. Ich versuche mich zu bewegen. Ich kann meine Schultern anziehen, meinen Kopf im Nacken rollen und die Beine schwingen. (…) Nach einer Weile scheinen die Handschellen direkt in die Knochen zu schneiden. Die Schultern fühlen sich an, als reiße jemand unablässig an meinen Armen. (…) jede Bewegung schmerzt, und sei sie noch so klein. Vor allem in den Handgelenken und an den Ellenbogen. (… ) Ich weiß jetzt, man kann sehr schnell sterben dabei. Der Körper hält das nicht aus.« Fünf Tage ist Murat Kurnaz auf diese Weise aufgehängt. Dreimal am Tag wird er von Soldaten heruntergelassen und von einem Arzt inspiziert. Seine Hände sind geschwollen, sie schmerzen nur am Anfang, danach spürt er sie nicht mehr. Neue Schmerzen, nun an anderen Stellen des Körpers, wie in der Herzgegend, stellen sich ein. Immer wieder kommt der Vernehmer, will wissen, ob der Gefangene seine Meinung geändert hat, stellt immer wieder die gleichen Fragen. »Als sie mich wieder herunterlassen, kann ich nicht mehr stehen. Meine Beine knicken ein, als wären sie Streichhölzer, und ich falle zu Boden«. Doch immer wieder ist ein Arzt zur Stelle, um den Gefangenen am Leben und damit leidens- und aussagefähig zu erhalten. »Als sie mich dann von hinten aufhängen, fühlt es sich an, als würden meine Schultern brechen. Sie binden meine Hände hinter meinem Rücken und ziehen mich herauf.« Während dieser Prozedur wird Kurnaz Zeuge des Todes eines anderen, auf ähnliche Weise aufgehängten Gefangenen: »Ich kenne den Mann nicht. Er hängt wie ich mit den Händen nach oben von der Decke herab. Ich kann nicht sagen, ob er tot ist. Sein Körper ist angeschwollen und blau. Nur an manchen Stellen ist er fahl und weiß. Ich sehe, daß viel Blut in seinem Gesicht klebt, es ist geronnen und ganz schwarz. Sein Kopf hängt zur Seite. (…) Ich glaube, der Mann ist tot. Er sieht aus wie einer, der im Schnee erfroren ist.« »Heute weiß ich«, schreibt Murat Kurnaz rückblickend, »daß viele so gestorben sind. Auch andere Gefangene haben mitangesehen, wie Leute beim Aufhängen starben.« Immer wieder seien Leute von einem Verhör nicht zurückgekehrt, das habe sich in Guantánamo herumgesprochen.

Todesursache: Mord

Die Brutalität in Bagram eskalierte im Dezember 2002, als US-Soldaten in einem infamen Akt der Brutalität zwei afghanische Gefangene, Habibullah und Dilawar, zu Tode prügelten, nachdem sie diese zuvor an ihren Handgelenken aufgehängt hatten. Beide starben nur wenige Tage nach ihrer Inhaftierung, ganz offensichtlich an den Folgen von Folter. Über diese Todesfälle wurde in den folgenden Jahren vielfach berichtet. Die nach erfolgter Autopsie von der US-Militärpathologin Elizabeth Rouse, damals Oberstleutnant der US-Luftwaffe, ausgestellten Totenscheine nennen als Todesursache Mord. Der 30jährige Mullah Habibullah – Bruder eines Taliban-Kommandeurs – kam Anfang Dezember 2002 ums Leben. Er war immer wieder Ziel sogenannter peronealer (von »perone«, giechisch: Wadenbein, den Nervus peronaeus betreffend; A.B.) und anderer Schläge und wurde häufig gefesselt. Habibullahs Tod »ist auf die schweren Verletzungen an seinen Beinen zurückzuführen, die wahrscheinlich ein Blutgerinnsel hervorriefen, das bis zum Herz wanderte und die Blutzufuhr der Lunge blockierte«. Der Verteidiger eines im Falle Habibullah angeklagten Soldaten sagte: »Mein Mandant hat stets in Übereinstimmung mit den Standardverfahrensregeln gehandelt, die in den Einrichtungen in Bagram galten.«

Dilawar, ein 22jähriger Zivilist, Vater eines kleinen Kindes, wurde festgenommen, als er mit seinem Taxi in der Nähe einer US-Militärbasis unterwegs war. Das US-Militär beschuldigte ihn, ein Kurier für Al-Qaida zu sein, dabei war er sehr wahrscheinlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Er starb am 10. Dezember, sieben Tage nach dem Tod von Habibullah, wie dieser zu Tode geprügelt von US-Vernehmungsbeamten. Seine Beine wiesen vielfache Verletzungen auf, hervorgerufen ebenfalls durch »peroneale« Schläge. Ein Militärpolizist sagte aus, Dilawar sei innerhalb von 24 Stunden mehr als hundertmal auf diese Art und Weise geschlagen worden. Er wurde »während der letzten vier Tage an den Handgelenken an der Zellendecke angekettet, was dann zu seinem Tod geführt« habe. Die Verletzungen, die ihm zugefügt wurden, werden im Totenschein so beschrieben: »Verletzungen durch Gewaltanwendung mit stumpfen Gegenständen gegen seine unteren Extremitäten, die eine Erkrankung der Herzschlagader verstärkten.«

Ein an der Obduktion beteiligter Militärpathologe sagte aus, das Gewebe der Beine sei regelrecht »zu Brei zermahlen worden«. Laut seiner Kollegin Elizabeth Rouse war das Gewebe »am Auseinanderfallen«. Sie gab an, »vergleichbare Verletzungen bei von Bussen überrollten« Personen beobachtet zu haben. In einer beeidigten Zeugenaussage sagte Rouse, daß die Verletzungen der Beine »so ausgeprägt« gewesen seien, daß aller Wahrscheinlichkeit nach »eine Amputation nötig gewesen wäre«. Dilawars Schicksal ist in dem Dokumentarfilm »Taxi to the dark side« bedrückend nachgezeichnet. US-Soldaten berichten in der Dokumentation, wie sie Gefangene mit Haken an der Decke aufgehängt haben, Amateurfotos zeigen blutverschmierte Drahtkäfige, in denen die Insassen hausen mußten.

Christopher Beiring, Hauptmann der US-Armee, der die 377. Militärpolizeikompanie von Sommer 2002 bis Frühjahr 2003 kommandierte, ist der einzige amerikanische Offizier, der für die Morde an Habibullah und Dilawar zur Verantwortung gezogen wurde. Er kam mit einem »Verweis« davon. Beiring erzählte den Militärermittlern, er habe keine förmliche Schulung erhalten, wie man eine Kompanie der Militärpolizei führt, nur eine kurze Einweisung und Training »on-the-job«. Willie V. Brand, der Soldat, gegen den die schwerwiegendsten Anklagen erhoben wurden, gab zu, daß er Dilawar während der Sitzung in einer Isolationszelle ungefähr 37mal geschlagen habe, 30mal allein auf den besonders empfindlichen Bereich um die Knie. Brand, dem für diese Tat bis zu elf Jahren Gefängnis drohten, wurde lediglich zum Gefreiten degradiert, nachdem man ihn für schuldig befunden hatte, Dilawar attackiert und verstümmelt zu haben.

»Jeder schlug einen Gefangenen«

Im Rahmen der Militäruntersuchung nach dem Tod von Habibullah und Dilawar bezeugten US-Soldaten, daß die Mißhandlung von Gefangenen in Bagram vom Sommer 2002 bis Frühjahr 2003, also über eine Zeitspanne von sieben Monaten, exzessive Formen angenommen habe. Ehemaligen US-Wachsoldaten zufolge seien die Gefangenen oft wegen der kleinsten Regelverletzung geschlagen worden. Abdul Haleem, ein Pakistani, gab an, daß ihn US-Soldaten im Jahr 2003 in Bagram auf den Boden geworfen und gegen seinen Kopf getreten hätten, »als ob sie Fußball spielen würden«. Adel Al-Zamel, ein Kuwaiti, berichtete, Wachen hätten ihn in Bagram im Lauf des Frühjahrs 2002 häufig mit Stöcken bedroht und gedroht, ihn zu vergewaltigen, auch erinnere er sich noch an die »Schreie aus dem Verhörraum« von Gefangenen, die in Bagram geschlagen wurden.

»Ab einem gewissen Zeitpunkt schlug jeder einen Gefangenen«, rechtfertigte sich Brian Cammack, ein früherer Verhörspezialist der 377. Kompanie, gegenüber den Militärermittlern. Cammack wurde zu drei Monaten Militärhaft verurteilt und unehrenhaft aus der Army entlassen, weil er Habibullah geschlagen hatte. Der Soldat Jeremy Callaway, der von August 2002 bis Januar 2003 in der 377. Militärpolizeikompanie diente und zugab, etwa zwölf Gefangene in Bagram geschlagen zu haben, erklärte den Ermittlern in einem beeidigten Zeugnis, er habe ein ungutes Gefühl dabei gehabt, Befehlen, »die Gefangenen psychisch und physisch zu brechen«, Folge zu leisten. »Ich denke, man kann das Folter nennen«, sagte er.

Captain (Hauptmann) Carolyn Wood, der die Vernehmer in Bagram unterstanden, wurde im Sommer 2003 ins Gefängnis Abu Ghraib im Irak geschickt und leitete dort ab August die Vernehmungen. Als Kommandeurin über 20 Analytiker und nachrichtendienstliche Vernehmer hatte Wood seit Juli 2002 in Bagram die Verhörtechniken ausgeweitet: u. a. durch den Einsatz von Streßpositionen, bis zu 30 Tage dauernder Isolationshaft, die Wegnahme von Kleidungsstücken und die Ausbeutung von Ängsten der Gefangenen wie etwa vor bellenden Hunden. Im Gefängnis Abu Ghraib waren ihre Erfahrungen aus dem Folterlager Bagram gefragt. Für ihren vorbildlichen Einsatz in Afghanistan und im Irak wurde Wood von der US-Army später mit zwei »Bronze Stars« belohnt.

Der einzige US-Amerikaner, der für seine Mitwirkung an der Mißhandlung und Tötung von US-Gefangenen in Afghanistan bis heute ernsthaft bestraft wurde, ist David A. Passaro, damals Mitarbeiter eines paramilitärischen CIA-Vertragsunternehmens. Der frühere Special- Forces-Sanitäter und US-Army-Ranger wurde zu acht Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem ein US-Gericht ihn für schuldig befunden hatte, den daraufhin am 21. Juni 2003 verstorbenen afghanischen Bauern Abdul Wali auf dem US-Militärstützpunkt bei Asabad zwei Nächte lang brutalst mißhandelt zu haben.

»... um sie leiden zu lassen«

Nach entsprechenden Vorwürfen, Gefangene in Bagram bei Verhören zwischen August 2002 und Februar 2003 vergewaltigt bzw. mit Vergewaltigung bedroht zu haben, wurde Private First Class Damien Corsetti im Jahr 2005 in einem Militärgerichtsverfahren vom Vorwurf des Fehlverhaltens im Dienst, der Mißhandlung und der Begehung von Tätlichkeiten und anstößigen Handlungen an Gefangenen freigesprochen. Corsetti, dem seine Kollegen im Gefängnis von Bagram der New York Times zufolge den Spitznamen »König der Folter« oder »Monster« gaben, gehörte darüber hinaus zu jenen Personen, gegen die im Folterskandal von Abu Ghraib zwar ermittelt, die aber nicht angeklagt wurden. Im Interview mit der spanischen Tageszeitung El Mundo2 beschrieb Corsetti, inzwischen a. D., die »moralisch inakzeptablen« Fälle physischer und psychischer Folter, deren Zeuge er in den Gefängnissen von Bagram und Abu Ghraib geworden sei. Gegenüber El Mundo gab Corsetti an, die übergroße Mehrheit der Personen, die er im Rahmen seines Dienstes befragt habe, »hatten weder mit den Taliban noch mit Al-Qaida irgend etwas zu tun«. Viele Gefangene seien gefoltert worden, »um sie leiden zu lassen, nicht um Informationen von ihnen zu erhalten«. Nach einem nur fünfstündigen Kurs wurde der damals 22jährige seinen Angaben zufolge zur Informationsgewinnung auf die Gefangenen im Gefängnis von Bagram losgelassen – Gefangene, die nach Corsettis Meinung »in 98 Prozent der Fälle weder mit den Taliban noch mit Al-Qaida irgend etwas zu tun hatten«. Viele waren einfache Bauern.

Corsetti schilderte die harten Bedingungen im Gefängnis von Bagram. »Jeder Gefangene hat in seiner Zelle einen Teppich von 1,20 auf 2,50 Meter. Und sie sitzen 23 Stunden am Tag darauf, schweigend. Wenn sie sprechen, werden sie für 20 Minuten an die Decke gekettet, und schwarze Masken werden ihnen aufgesetzt, so daß sie nichts sehen können, und Ohrenschützer werden ihnen angelegt, so daß sie nichts hören können. Einmal in der Woche bringt man sie in den Keller (des Gebäudes), in Gruppen von fünf oder sechs, um sie zu duschen. Man tut es, um sie verrückt zu machen.« Außer den normalen Zellen gab es im Keller des Gefängnisses sechs Isolationszellen, dazu zwei Räume für diejenigen, welche die Soldaten als »besondere Gäste« bezeichneten.

In dieser »Unterwelt« des Gefängnisses von Bagram habe die CIA mutmaßliche Führer von Al-Qaida gefoltert. Corsetti gegenüber El Mundo: »Eines Tages ging ich zu einer Verhörsitzung, und schon als ich eintraf, wußte ich, das ist kein normaler Fall. Da waren Zivilisten, darunter ein Arzt und ein Psychiater. Der Gefangene wurde Omar Al-Faruq genannt, ein asiatischer Al-Qaida-Führer, der von einem jener (Geheim-)Dienste ins Gefängnis gebracht worden war«, erinnert sich Corsetti. »Ich möchte nicht in die Einzelheiten gehen, denn das könnte für mein Land negativ sein, aber er wurde brutal geschlagen – täglich. Und auf andere Weise gefoltert. Er war ein schlechter Mann, aber das hat er nicht verdient«. In einer Aktion, die manchen Quellen zufolge von den USA toleriert wurde, flüchtete Al-Faruq aus dem Gefängnis in Bagram. Er wurde schließlich im April 2006 von den Briten in Basra (Irak) getötet.

Corsetti behauptete, selbst niemals an Folterungen teilgenommen zu haben. »Mein ganzer Job bestand darin, dazusitzen und sicherzustellen, daß der Gefangene nicht starb. Aber mehrmals dachte ich, sie wären dabei zu sterben, wenn sie von jenen Leuten verhört wurden, die keinen Namen haben und für niemanden im besonderen arbeiten. Es ist unglaublich, was ein menschliches Wesen aushalten kann«, so Corsetti im Rückblick. »Al-Faruq sah mich an, während sie ihn folterten, und ich habe diesen Blick in meinem Kopf. Und die Schreie, die Gerüche, die Geräusche, sie sind ständig bei mir. Es ist etwas, das ich nicht loswerden kann. Die Schreie der Gefangenen nach ihren Angehörigen, ihrer Mutter. Ich erinnere mich an einen, der nach Gott gerufen hat, nach Allah, die ganze Zeit. Ich habe diese Schreie hier, in meinem Kopf.«

»In Abu Ghraib und Bagram wurden sie gefoltert, um sie leiden zu lassen, nicht um Informationen von ihnen zu erhalten«, bekräftige Corsetti. Die Folter habe manchmal kein anderes Ziel gehabt, als »sie dafür zu bestrafen, daß sie Terroristen sind. Sie folterten sie und stellten ihnen keinerlei Fragen«. So etwa bei der Praxis, die als das »U-Boot« (Waterboarding) bekannt ist, dem simulierten Ertränken des Gefangenen. Die Zivilisten, die an den Verhören teilnahmen, hätten das »U-Boot« nach Lust und Laune, alle fünf oder zehn Minuten, angewandt, ohne irgend etwas zu fragen, so Corsetti. Andere Folterungen beinhalteten Corsetti zufolge die Anwendung von extremer Kälte und Hitze. »Ich erinnere mich an einen meiner Gefangenen, der vor Kälte zitterte. Seine Zähne hörten nicht auf zu klappern. (…) Man sah, daß dieser Mann dabei war, an Unterkühlung zu sterben. Aber die Ärzte waren da, so daß sie nicht starben, so daß es möglich war, sie einen weiteren Tag zu foltern«. Zu anderen Zeiten wurden die Gefangenen laut Corsetti mit extremem Licht geblendet.

Psychische Folter

Von großer Bedeutung war Corsetti zufolge die psychische Folter unter der Anleitung von Psychiatern. »Sie haben ihnen erzählt, daß sie ihre Kinder töten, ihre Frauen vergewaltigen werden. Und man hat in ihren Gesichtern, in ihren Augen ihr Entsetzen gesehen. Wir kennen die Namen ihrer Kinder, wo sie leben – wir zeigen ihnen Satelliten-Aufnahmen von ihren Häusern. Es ist schlimmer als jede Folter. Das ist moralisch unter keinen Umständen akzeptabel, nicht einmal beim schlimmsten Terroristen der Welt«, so Corsetti, der hinzufügte: »Manchmal ließen wir eine unserer Frauen (weibliches US-Militärpersonal) in einer Burka (Ganzkörperschleier – d. Red.) durch die Verhörraume gehen, und wir sagten ihnen: ›Das ist deine Frau‹. Und der Gefangene glaubte es. Warum sollten sie nicht! Wir hatten diese Leute davor eine Woche lang nicht schlafen lassen. Nach zwei oder drei Tagen ohne Schlaf glaubt man alles. (…) Die Gefangenen hatten Halluzinationen. (…) Man ist in einer Zelle, wo sie einen nur ab und an eine Viertelstunde schlafen lassen. Ohne Kontakt zur Außenwelt. Ohne Sonnenlicht. Auf die Weise kommt einem ein Tag wie eine Woche vor. Sie sind mental zerstört.«

Die Lehre, die Corsetti aus seiner Erfahrung als Vernehmer gezogen haben will, ist, »daß Folter nicht funktioniert«. Es sei »eine Sache, wenn man seine Beherrschung verliert und einem Gefangenen einen Schlag versetzt, eine andere ist es, diese Akte von Brutalität zu begehen«.

Im Herbst 2008 bekamen auch deutsche Diplomaten einen vagen Eindruck von dem Folterlager Bagram. Nachdem die US-Armee einen Deutsch-Afghanen monatelang festgehalten und sich schließlich die Unschuld des Mannes herausgestellt hatte, holte ihn der stellvertretende deutsche Botschafter in Bagram ab. Auch der deutsche Gefangene berichtete von Schlägen, Isolationshaft und Bedrohungen durch das US-Militär. In einem orangefarbenen Overall sei er vorgeführt worden, an den Händen und Füßen mit Stahlketten gefesselt, die Augen mit einer schwarzen Skimaske bedeckt. In einer kleinen Holzbox, so die Diplomaten, habe man mit dem Gefangenen reden dürfen, dabei seien schwerbewaffnete Soldaten nicht von seiner Seite gewichen. Der Mann mußte noch lange Zeit nach seiner Freilassung psychologisch betreut werden. Doch sowohl dieser wie auch die vielen anderen »Kollateralschäden« (vorzugsweise an leicht erfaßbaren zivilen Zielen wie Hochzeitsgesellschaften) konnten die deutsche Bundesregierung bislang nicht dazu bewegen, ihre Unterstützung des Krieges am Hindukusch auf den Prüfstand zu stellen. Dabeisein, ist alles, scheint hier einmal mehr die Devise zu sein – und zwar um jeden Preis.


1 Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens, Berlin 2007. Alle folgenden Zitate aus diesem Buch

2 El Mundo, 10.12.2007 (Englische Übersetzung auf der Website von Prof. Juan Cole: »Former US interrogator recounts torture cases in Afghanistan and Iraq« (www.juancole.com/2007/12/former-us-interrogator-recounts-torture.html). Die folgenden Zitate sind dieser Quelle entnommen
 
  • Alexander Bahar veröffentlichte zuletzt: Folter im 21. Jahrhundert. Auf dem Weg in ein neues Mittelalter? dtv, München 2009, 300 S., brosch., 16,90 Euro (auch im jW-Shop erhältlich)
     

Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/08-26/017.php