02.06.2009 / Ausland / Seite 6 Inhalt Junge Welt
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Eiserne Lady räumt auf
Litauens Präsidentin mischt sich in Regierungsarbeit ein und setzt neue Prioritäten
Von Tomasz Konicz
Litauens frisch gewählte Präsidentin Dalia Grybauskaite bemüht sich bereits,
ihren Ruf als »Eiserne Lady« gerecht zu werden. Auf einer ersten Pressekonferenz
kurz nach ihren überwältigenden Wahlsieg Mitte Mai, bei dem sie mit nahezu 70
Prozent aller Wählerstimmen bereits im ersten Wahlgang ins Präsidentenamt
gehievt wurde, kündigte die 53jährige einschneidende politische Veränderungen
an. »Heute ändert Litauen sein Antlitz, da die Gesellschaft entschieden erklärt
hat, nicht mehr so weiterleben zu wollen, wie es ihnen die politischen Eliten
diktieren«, erklärte die Staatschefin voller Pathos.
Grybauskaite kündigte umgehend an, sich massiv in die Regierungsarbeit
einzuschalten. Fünf Minister sind bereits ins Visier der ehemaligen EU-
Haushaltskommissarin geraten, die binnen zwei Monaten »ihre Fehler zu reparieren
haben«, da ansonsten die Staatschefin sich um deren Entlassung bemühen werde.
Hierbei handelt es sich um die Finanz-, Wirtschafts-, Energie-, Arbeits- und
Sozialminister. Sie werde einen »entschiedenen Kampf gegen Monopole« ausfechten,
eine Steuer auf Immobilien einführen und die Tabak- und Alkoholsteuer senken,
tönte Grybauskaite in bester populistischer Tradition. Allerings stimmen die
litauischen Medien in der Ansicht überein, daß die Wirtschaftspolitik der neuen
Präsidentin eng mit Brüssel abgesprochen sei.
Gegenüber der Tageszeitung Kurier Wilenski bemerkte der unterlegene
sozialdemokratische Kandidat Algirdas Butkevicius, daß die neue, über lange
Jahre in der Brüsseler Bürokratie beschäftigte Präsidentin Litauens sich noch
mit der Verfassung ihres Landes auseinandersetzen müsse: »Sie muß unser
politisches System verstehen und aufhören, das Amt des Präsidenten als das des
Regierungschefs zu betrachten.« Wie zur Antwort auf diese Bedenken ließ
Grybauskaite Ende Mai gegenüber Medien durchblicken, daß sie notfalls auch mit
präsidialen Dekreten zu regieren bereit ist: »Da gibt es noch das Instrument des
Dekrets, welches der scheidende Präsident Valdas Adamkus selten nutzte. Ich
werde aber alle Möglichkeiten ausschöpfen.«
Auch in der Außenpolitik kündigte Grybauskaite einschneidende Veränderungen an.
Im polnischen Rundfunk gab dazu die Einschätzung vieler Politologen, wonach sich
Litauen nun stärker an der Europäischen Union orientieren und das besonders enge
Verhältnis mit den Vereinigten Staaten lockern werde. Der scheidende Präsident
Valdas Adamkus hatte als litauischer Emigrant in den Vereinigten Staaten
innerhalb der Reagan-Administration Karriere gemacht und erst kurz vor seiner
Wahl zum litauischen Staatschef die Staatsbürgerschaft des Landes angenommen. Er
galt als maßgeblicher Architekt einer strikt antirussischem und
proamerikanischen Ausrichtung litauischer Außenpolitik.
Der rechtskonservative polnische Publizist Jan Engelhard berichtete jüngst über
die Unruhe innerhalb der proamerikanischen Kräfte in Litauen angesichts dieser
sich anbahnenden geopolitischen Neuausrichtung. In etlichen litauischen
Zeitungen seien bereits direkte Angriffe auf die neue Präsidentin gestartet
worden. Es seien sogar Stimmen zu vernehmen, die darauf drängen, mit
Grybauskaite ähnlich zu verfahren wie 2003 mit dem damaligen Präsidenten
Rolandas Paksas. Dieser wurde einfach vom Parlament des Amtes enthoben, nachdem
seine Kontakte zu »russischen Geschäftsleuten« allzu offensichtlich wurden. Eine
solche Variante scheint aber im Falle der Brüssels volle Rückendeckung
genießenden Grybauskaite auch für proamerikanische Hardliner in Litauen kaum
gangbar.
Mit Litauen drohe nun ein weiteres Land aus dem Cordon Sanitaire rund um Rußland
auszuscheren, kommentierte Engelhard. »Wir können derzeit die Frage nicht
beantworten, welche Politik Litauen gegenüber Polen und Rußland betreiben wird«,
gab der proamerikanische Chefredakteur der Zeitung Lietuvos rytas, Rimvydas
Valatka, zu bedenken: Es sei aber bekannt, daß »Grybauskaite bei einem
Wahlkampfauftritt den bisherigen Präsidenten Valdas Adamkus scharf kritisiert
hat«, da dieser sich während des Krieges in Georgien zu sehr engagiert habe.
»Wir wissen nicht, ob sie prorussisch sein wird,« warnte Valatka abschließend.
Für Engelhard hingegen scheint die Lage bereits klar. Er
geht davon aus, daß Polens Präsident Lech Kaczynski als einer der letzten
entschieden amerikafreundlichen Politiker Mittelosteuropas mit Litauen einen
weiteren Bündnispartner einer »proukrainischen und antirussischen« Politik
verloren habe.
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Quelle: http://www.jungewelt.de/2009/06-02/022.php