Zwischen Konfrontation und Kooperation:
US-Präsident Barack Obama auf China-Besuch
(18.11.2009)
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Am 17. Dezember 2009 findet in der jW-Ladengalerie ein
Streitgespräch zu neuen Büchern über China statt. Eingeladen
sind der ehemalige Botschafter der DDR in der Volksrepublik
Rolf Berthold und der Sinologe Helmut Peters. Als dritte
Diskutantin sitzt die freie Journalistin Renate Dillmann auf
dem von jW-Chefredakteur Arnold Schölzel moderierten Podium.
Sie formuliert in ihrem Buch »China. Ein Lehrstück« höchst
provokante Thesen. So sieht Dillmann in der Volksrepublik
eine aufstrebende Macht, die sich mittels imperialistischer
Politik gegen Konkurrenten auf dem Weltmarkt durchzusetzen
suche. Helmut Peters wird dieser These in der nächsten Woche
auf den Thema-Seiten entgegnen.
Zu Beginn der 70er Jahre vollzog die sozialistische
Volksrepublik eine weltpolitisch bedeutsame Weichenstellung:
Sie nahm Verbindung zu den USA, der Führungsmacht des bis
dahin nach Kräften attackierten imperialistischen Lagers,
auf. In der Folge konnten die USA die Sowjetunion welt- wie
rüstungspolitisch mehr unter Druck setzen. Vor allem aber
war es den USA gelungen, China – das dem Weltkapitalismus
mit seiner Doktrin von der »Unvermeidbarkeit des Krieges«
zwischen Imperialismus und Sozialismus bis dahin trotzig und
unberechenbar gegenüberstand und seit 1964 auch über die
Atombombe verfügte – ein Stück weit in ihre »Ordnung« der
Welt einzubinden. Mit der (Wieder-)Aufnahme bilateraler
Beziehungen zu Washington mitten im Vietnamkrieg und trotz
der militärischen Präsenz der USA in Südkorea, Japan, den
Philippinen etc. signalisierte Mao seine Bereitschaft, sich
mit einer führenden Rolle der USA in der Welt und im Pazifik
zu arrangieren. Umgekehrt akzeptierten die Vereinigten
Staaten dafür eine atomar bewaffnete Volksrepublik als
Regional- und Großmacht und akzeptierten kurz darauf, daß »Rotchina«
den (vorher dem US-Verbündeten Taiwan zugesprochenen) Sitz
im Sicherheitsrat der UN besetzte.
Die USA haben der Volksrepublik China also das Angebot auf
einen Platz in »ihrer« Welt gemacht – unter der Bedingung,
daß die chinesische Parteiführung sich damit abfindet, wie
es in dieser Welt zugeht: 1. freier Handel zwischen den
Staaten der »freien Welt«, über welche die Vereinigten
Staaten eine Art Oberaufsicht führen; 2. unversöhnliche
Feindschaft zwischen dem westlichen und dem sowjetischen
Lager, aus dem die Volksrepublik endgültig ausschert.
Selbstverständlich war das Angebot des damaligen
Nixon-Kissinger-Gespanns mit dem Wunsch verbunden, daß die
Einordnung im Idealfall zur Unterordnung des Landes führen
soll. Die USA haben deshalb die neu eröffneten Beziehungen
mit ein paar ökonomischen Angeboten flankiert – in der
Hoffnung, daß sich das wirtschaftlich nicht gerade
gefestigte Land alsbald in ausnutzbare Abhängigkeiten
hineinreiten würde.
China seinerseits hat sich entschieden, seine nationalen
Interessen künftig in Kooperation mit dieser
kapitalistischen Welt und all ihren – bis dahin vorwurfsvoll
angeklagten – Gemeinheiten zur Geltung zu bringen. Die
berechnende Anerkennung, die ihm die USA angeboten haben,
hat es – bei allem gehörigen Respekt vor der
nordamerikanischen Supermacht! – als Gelegenheit betrachtet,
sich neu aufzubauen und einen anerkannten Platz in der
Hierarchie der großen Nationen zu ergattern, sich also in
der Konkurrenz der imperialistischen Staaten durchzusetzen
und nicht im Kampf gegen sie. Dafür hat China die politische
Wendung nach Westen in der Folgezeit um seine ökonomische
Öffnung ergänzt.
Pferdefuß für den Westen
Das alte »Reich der Mitte« hat es dabei in den vergangenen
30 Jahren seines staatlich initiierten und gelenkten
Kapitalismus geschafft, sich zu einer der wenigen wichtigen
Wirtschaftsnationen auf der Welt hochzuarbeiten – ein
durchaus bemerkenswerter Sonderfall gegenüber dem »normalen
Schicksal« eines Entwicklungslandes. Während sonst nach der
Logik von Geschäft und Gewalt die Aufnahme von Beziehungen
mit den in jeder Hinsicht überlegenen kapitalistischen
Nationen regelmäßig zu einseitiger ökonomischer Abhängigkeit
und prinzipieller Beschränkung des politischen
Handlungsspielraums führt, macht es offenbar einen
entscheidenden Unterschied aus, als größtes Entwicklungsland
der Welt in ein solches Unterfangen einzusteigen. Das
entsprechend riesige Interesse der internationalen
Geschäftswelt (und deren Konkurrenz) sorgte nämlich für eine
ansonsten unübliche Bereitschaft, die von der
kommunistischen Staatspartei erlassenen
Zugangsvoraussetzungen zu akzeptieren. Einmal erfolgreich
»angestoßen«, fand eine »ursprüngliche Akkumulation« statt –
die durch viel staatliche Gewalt »flankierte« Schaffung
einer allgemeinen Basis kapitalistischer Gewinnproduktion,
deren Ergebnisse den Ausgangspunkt für die beständige
Ausweitung und Ausbreitung rentabler Geschäfte bilden – und
das in einem bisher unbekannten Ausmaß. Auch wenn der
kapitalistische Boom bislang hauptsächlich Chinas Ostküste
(und selbst die noch nicht durchgängig) erfaßt hat – die
Menge der dort stattfindenden Produktion gewinnträchtiger
Ware hat bis heute schon einiges durcheinandergebracht im
etablierten Weltkapitalismus.
Das ist einerseits ideal für westliche Unternehmen, weil
akkumulierendes chinesisches Kapital eine gute Basis für
weitere und mehr eigene Geschäfte darstellt. Das ist
andererseits nicht ganz so günstig, weil dieses Kapital
inzwischen genauso agiert wie das westliche, also vor Ort
zunehmend als Konkurrent auftritt und außerdem beileibe
nicht in seiner angestammten Heimat bleibt, sondern längst
in alle Welt ausschwärmt und die hiesigen Märkte angreift,
die doch eigentlich für den Absatz »unserer« (China-)Waren
reserviert waren.
So hat sich dasselbe, was China für den Westen so attraktiv
gemacht und sich in Zeiten stagnierenden oder schrumpfenden
Weltgeschäfts als riesiges, noch zu entwickelndes Potential
für geschäftliches Wachstum dargestellt hat, seine Größe als
Quelle von Bereicherung also, vom Standpunkt der westlichen
Führungsnationen inzwischen gewissermaßen als Pferdefuß
herausgestellt. Nicht in dem Sinn, daß die zahlreichen
kapitalistischen Spekulationen auf das Reich der Mitte nicht
oder nicht genügend aufgegangen wären. Ganz im Gegenteil:
Westliche Unternehmer haben ein erfolgreiches Geschäft in
China zustande gebracht und es deshalb immer weiter
ausgeweitet. Genau das hieß aber umgekehrt: Wenn in einem so
riesigen Land kapitalistisches Wachstum in Schwung kommt und
eine Staatsführung wie die Kommunistische Partei es schafft,
Land und Leute dafür ebenso zu mobilisieren wie unter ihrer
Kontrolle zu halten, wird auswärtiges Kapital zum Mittel
seines nationalen Aufstiegs. Der Einstieg in die
imperialistische Weltordnung hat die Nation bereichert,
macht sie damit zu einem potenten Konkurrenten und stärkt
die politischen Verwalter der chinesischen Ökonomie, statt
daß er sie schwächt und zunehmend politischer Erpressung und
auswärtiger Kontrolle ausliefert.
Eine neue imperialistische Macht
Dabei haben Chinas Politiker in dem Bewußtsein agiert,
allein schon wegen der schieren Größe ihres Landes über eine
potentielle Weltmacht zu herrschen, der sie endlich wieder
zu dem ihr »zustehenden« Platz verhelfen wollten. Daß sie
mit diesem Anliegen in eine internationale Gewaltordnung
eintreten, in der die USA das Sagen haben, hat sie
genausowenig geschreckt wie die Aussicht, daß zur Behauptung
in dieser Welt von Geschäft und Gewalt diverse Gemeinheiten
nötig sind. Die Einladung der US-Amerikaner, in ihrer
Weltordnung mitzumachen, haben diese Nationalkommunisten
jedenfalls nie blauäugig mißverstanden. Von ihrem ansonsten
nicht mehr so angesagten Exvorsitzenden Mao haben sie sich
auf alle Fälle gemerkt, daß »die Macht aus den Gewehrläufen«
kommt, die Rolle eines Landes in der Welt also vor allem
anderen an den (Gewalt-)Mitteln hängt, die es mobilisieren
kann, um anderen Staaten das eigene Interesse aufzwingen zu
können.
Daß gerade der ökonomische Erfolg ihres Landes für einige
neue Gegensätze und scharfe Töne im regional- wie
weltpolitischen Szenario gesorgt hat, hat die Politikergarde
in Peking insofern nicht überrascht. Ebensowenig die
etablierten Weltordnungsmächte, welche die Unvereinbarkeit
so mancher chinesischer Konkurrenzanstrengung mit ihrer
Lesart der »globalen Spielregeln« festgestellt und die
»Lösung« der so definierten »Konflikte« auf die Tagesordnung
gesetzt haben. Sie finden es nämlich überhaupt nicht in
Ordnung, wenn sich ein »armes« Land in einem solchen Tempo
zur Export-, Gläubiger- und Kapitalexportnation hocharbeitet
– auch einmal eine schöne Aufklärung darüber, wie der früher
im Westen so beliebte Terminus Entwicklungsland auf alle
Fälle nie gemeint war! US-amerikanische Politiker rechnen
hoch, wie diese »Entwicklung« weitergehen soll, und sehen
sich durch eine »kommende Weltmacht China« enorm gestört.
Dagegen macht die Volksrepublik selbstbewußt ihr »Recht auf
friedliche Entwicklung« geltend. Neben den »Fortschritten«,
die die politische Klasse des Landes im Inneren in Gang
setzt, werden chinesische Politiker mit einer ganzen Latte
außenwirtschaftlicher wie -politischer Aktivitäten, die
einem »Lehrbuch Imperialismus« entnommen sein könnten, auf
dem Globus aktiv: Sie nutzen die wachsenden ökonomischen
Mittel, über die sie inzwischen verfügen, wie die
Abhängigkeiten, die sich für andere Staaten in aller Welt
aus dem Geschäft mit China bereits eingestellt haben,
zielstrebig dafür aus, gegen die etablierten
kapitalistischen Großmächte ökonomische Besitzstände auf-
und auszubauen, ob in Asien, Lateinamerika oder Afrika. Sie
bringen politische Kooperationen auf den Weg, die sich
perspektivisch – und auf der Basis einer gesteigerten
chinesischen Militärmacht, welche für die fälligen
Schutzversprechen wie Erpressungsmanöver auch materiell
einstehen kann – zu wertvollen Positionen in der
strategischen Machtkonkurrenz ausgestalten lassen, etwa mit
Rußland und den zentralasiatischen Staaten im Rahmen der
Shanghai Cooperation Organization (SCO).
Hegemon USA herausgefordert
Eine aufstrebende Militärmacht? Manöver der
chinesischen Streitkräfte in der Inneren
Mongolei
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Die etablierten Hüter der internationalen Konkurrenzordnung
bemerken selbstverständlich, daß sich der Neueinsteiger ins
kapitalistische Weltgeschäft überall unangenehm breitmacht.
Vor allen anderen sehen sich natürlich die USA
herausgefordert. Schließlich haben sie die Weltordnung zu
ihrem Nutzen eingerichtet – und in diesem Sinne auch China
zur Teilnahme eingeladen. Nicht erst seit heute steht man in
Washington dem Resultat mit gespaltenen Gefühlen gegenüber.
Daß chinesische Waren die US-Märkte »überschwemmen«, finden
amerikanische Politiker unerhört – auch wenn es Amerikas
eigene Global player sind, die diese Waren in China
produzieren lassen, damit Gewinne einheimsen und diese
Billigimporte die Inflationsrate niedrighalten. Daß
chinesische Devisengewinne massenhaft US-Schatzbriefe
kaufen, finden seine Finanzstrategen unheimlich – auch wenn
China mit seinen Dollarkäufen letzten Endes ausgerechnet die
Kriege finanziert, mit denen Amerika seine führende Rolle in
der Welt sichern will, oder momentan verhindert, daß der
Dollar noch einen ganz anderen Absturz hinlegt. Andererseits
will man das Land weiterhin und sogar verstärkt als
US-amerikanische Bereicherungsquelle benutzen; die damit
verknüpften Wirkungen, ein stetig andauernder chinesischer
Zuwachs an ökonomischen und militärischen Machtmitteln,
sollen aber auf alle Fälle unter Kontrolle gehalten werden.
Dafür bringen die USA gegen den Newcomer in der Sphäre der
Ökonomie alle »konventionellen« Mittel in Anschlag, die es
sich in den supranationalen Organisationen zur Regelung
seines Vorteils auf dem Weltmarkt geschaffen hat
(Dumpingklagen, Beschwerden über den »künstlich« niedrigen
Yuan etc.). Und nicht nur das. Auch in China beklagen die
Vereinigten Staaten natürlich dauernd den Zustand von
Menschenrechten und Demokratie – sprich: Die USA vermissen
die Zulassung von regierungskritischen Stimmen, NGO und
Oppositionsparteien, die sie für ihre Anliegen
instrumentalisieren könnten. Und es sind, rein vorsorglich,
auch deutliche militärische Schritte nötig, um die
Aufholanstrengungen Chinas auf dem Felde der Waffen zum
Scheitern zu verurteilen, sei es mit
Raketenabfangprogrammen, sei es mit einer weit gediehenen
geostrategischen Einkreisung.
Gleichzeitig aber enthält die US-amerikanische Stellung zu
China immer auch ein – ausgesprochen zwiespältiges –
Angebot: Peking möge sich, gerade angesichts der »drohenden
Verschlechterung« der doch so nützlichen Beziehungen, lieber
fügen, Rücksicht nehmen auf die Vorhaltungen der Weltmacht,
sich einordnen in die pax americana und eine darin für
Amerika nützliche, dann aber auch anerkannte Rolle spielen.
Obama hat die chinesische Führung mit Angeboten in diesem
Sinne geradezu bombardiert. Er hat den kommunistischen
Führern in Peking seine Anerkennung für ihre ökonomische und
politische Potenz ausgesprochen, um sie damit zur Ein- und
Unterordnung in seine, die US-amerikanische Weltordnung, zu
bewegen – ein recht anspruchsvolles Ideal imperialistischer
Gewalt.1
Es ist nämlich so, daß die USA China ebensosehr brauchen wie
sie die Volksrepublik nicht aushalten. Ihr Geschäft braucht
die Ausbeutung chinesischer Arbeitskraft, den Import
billiger Waren, den Kapitalexport nach China und beklagen
all das gleichzeitig als Verhinderung des US-amerikanischen
Geschäfts und als Arbeitsplatzabbau; Washington braucht die
Dollarkäufe Chinas und leidet unter dieser Abhängigkeit; es
braucht selbst die Staatsgewalt in China, damit dort ein
geregeltes Geschäftsleben stattfindet – und findet deren
Macht zugleich unerträglich.
»Multipolare Welt«
Es ist also nicht verwunderlich, daß China den ziemlich
»unilateralen« Weltordnungswillen der USA nicht nur
allgemein als Einengung seiner Handlungsfreiheit zur
Kenntnis nimmt, sondern ihn eindeutig auf sich und sein
Aufstiegsinteresse bezieht, das damit angegriffen wird. Und
China läßt keine Zweifel daran, daß es das nicht hinnehmen
will. Früher haben die chinesischen Kommunisten die Welt
einmal dafür angeklagt, daß in ihr der »US-« und später der
»Sozial-Imperialismus« der Sowjetunion zu Unrecht die
Interessen der »fortschrittlichen« Völker »dominierten«.
Heutzutage stören sich ihre Nachfolger daran, daß China in
seinem Recht auf »friedliche Entwicklung« behindert wird. In
ihren »Weißbüchern« bedauern sie, daß die ansonsten auf der
Welt bereits vorbildlich herrschenden »Haupttendenzen
Frieden und Entwicklung« durch das Treiben »einer Macht«
empfindlich gestört werden: Amerika »maße« sich »an«, die
Welt »hegemonial«, »unipolar« zu beherrschen und jede
Veränderung seiner Weltordnung strikt zu unterbinden.
Dagegen setzt China sein »Konzept« einer »multipolaren Welt«
– und kündigt mit dieser Formel, die harmlos und
beschwichtigend klingen soll, nicht weniger als seinen Kampf
gegen die Vormachtstellung der USA an. Die heutigen
chinesischen Machthaber sind nicht gewillt, das
»Kräfteverhältnis« auf der Welt als unveränderlich
hinzunehmen. Auch in Sachen Machtkonkurrenz wollen sie also
nur das eine: mithalten – und dafür nehmen sie alles Nötige
in Angriff, ob die Modernisierung ihrer Marine oder
entsprechende strategische Allianzen.
»Jetzt erst recht!«
Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise sieht sich die
Volksrepublik mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, daß
der Weltmarkt, den sie bisher als Mittel ihres Aufstiegs
genutzt hat, ihr eine Quittung präsentiert, die sie in
mehrfacher Hinsicht sehr grundsätzlich schädigt.
– Ihre Devisenreserven entwerten sich. Die Summen, die der
chinesische Staatsfonds in Geschäfte wie etwa, die der
Investmentfirmen Freddie Mac und Fanny Mae gesteckt hatte,
haben sich bereits in Luft aufgelöst. Der Rest ihrer
Dollar-, Yen- und Eurobestände ist von noch gar nicht
abzuschätzenden Wirkungen bedroht, die die Krise und die
jeweiligen staatlichen Rettungsmaßnahmen auf die etablierten
Weltwährungen haben.
– Gleichzeitig wächst erstmals seit vielen Jahren der das
Staatsvermögen nicht mehr, da sowohl das Exportgeschäft als
auch die ausländischen Direktinvestitionen im großen Stil
wegbrechen. Zudem fließt angesichts unsicherer Aussichten
des Geschäfts Kapital nach Hongkong ab.
– In der chinesischen »Realwirtschaft« macht sich die
Abhängigkeit der Geschäfte von den ausländischen Märkten
(USA, Japan, Europa) geltend: Ein großer Teil der
Weltmarktfabriken ist in ungemein kurzer Zeit geschlossen
worden; Millionen Arbeitskräfte werden ohne jegliche soziale
Absicherung entlassen (bis Ende Januar 2009 allein 20
Millionen Wanderarbeiter), und die Perspektiven für die
jährlich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömenden
Jugendlichen (davon allein 5,5 Millionen Studienabgänger)
sind erbärmlich schlecht.
Der chinesische Staat, der seinen Erfolg wie das Leben und
Überleben seines Volks praktisch davon abhängig gemacht hat,
daß auf seinem Territorium ein kapitalistisches und auf den
Weltmarkt bezogenes Geschäft stattfindet, sieht sich
konfrontiert mit den »Naturgesetzen« dieser Marktwirtschaft.
Wenn diese Wirtschaft nicht jedes Jahr erheblich wächst – in
China müssen das mindestens acht Prozent sein –, kann die
Gesellschaft nicht einfach auf dem bisherigen Niveau
weiterexistieren. Ihr ökonomisches Leben hängt an diesen
Profitrechnungen und bricht deshalb im großen Stil weg. Das
ist nicht wie in vorsozialistischen Zeiten Folge von
natürlichem Mangel oder Naturkatastrophen. Obwohl alle
materiellen Mittel des Produzierens – qualifizierte
Arbeitskräfte, natürliche Ressourcen, industrielle Technik –
inzwischen im Überfluß vorhanden sind, herrscht dann »die
Krise«.
Diese Notlage geht die chinesische Regierung mit einem
entschiedenen »Jetzt erst recht!« an. Sie setzt alle ihr zur
Verfügung stehenden Mittel ein und verkündet, wie alle
anderen imperialistischen Mächte auch, daß sie gestärkt aus
der Krise herauskommen wird. Mit geldpolitischen
Instrumenten und einem schnell verabschiedeten gigantischen
Konjunkturpaket hat sie der Wirtschaft auf die Beine
geholfen. Haushaltspolitische Erwägungen ebenso wie andere
Staatsziele, etwa der Aufbau einer Sozialversicherung und
die Durchsetzung der Arbeitsrechtsreform, hat sie fürs erste
aufgeschoben. Auch in China zeigt sich auf diese Art und
Weise drastisch, was inzwischen der Systemzweck ist, an dem
alles hängt und von dessen erneutem Funktionieren alles
andere abhängt – von wegen kapitalistische »Methoden« und
den »Tiger reiten«.
Die Krisenkonkurrenz verschärft dabei alle schon bisher
vorhandenen Widersprüche und Gegensätze der Staaten. Alle
haben jetzt ihre guten, nationalen Gründe dafür, das
Wachstum in ihrem Land gegen und auf Kosten der anderen zu
sichern, und befürchten gleichzeitig, daß ihnen damit
langfristig die Mittel ihres Gewinnemachens abhanden kommen
– die globalen freien Märkte, weshalb sich alle gegenseitig
vor »Protektionismus« warnen. Sie beanspruchen die
Konjunkturmaßnahmen der anderen einerseits als Mittel für
sich (»China soll die Welt retten«), machen andererseits
eben deren Rettungsstrategien für ihre schlechten Aussichten
verantwortlich (neue Attacken der USA gegen einen
»unterbewerteten« Yuan). Amerika bekommt zu spüren, wie weit
sein Dollar und damit seine gesamte schöne Finanzwelt
inzwischen von einer konstruktiven Politik der Volksrepublik
abhängig sind – ein ganz und gar unerträglicher Zustand für
seinen Anspruch, auch ökonomisch die Welt zu führen.
Umgekehrt müssen die Chinesen feststellen, daß eine Ablösung
des Dollar-Regimes, an der ihnen gelegen wäre, jede Menge
mögliche Schäden für ihre eigenen Interessen enthält.
Deshalb kaufen sie zwar fürs erste weiter amerikanische
Staatspapiere, verlangen aber – ganz als Eigentümer hart
verdienter Dollars auftretend! – von den Amerikanern eine
entsprechende Pflege ihrer Währung …
Ein Grund zur Schadenfreude etwa der Art, daß sich die
Weltmacht USA da einen interessanten Widerspruch selbst
herangezüchtet hat und jetzt an ihm herumlaboriert, ist das
alles nicht. Denn jenes China, das den Nordamerikanern da in
die Quere kommt, ist mitnichten eine Art Hoffnungsträger für
eine alternative Weltordnung. Einmal abgesehen vom Unsinn
eines solchen Bedürfnisses, nach einer »real existierenden«
Kraft zu fahnden als Bedingung, Perspektive, Kronzeuge oder
sonstwas für die eigene Gegnerschaft, um die es schlecht
bestellt ist: Um zu glauben, daß man so etwas in China vor
sich hat, muß man Ökonomie und (Außen-)Politik der
Volksrepublik gegen alle Realität ziemlich umdeuten– nur so
werden nämlich aus Konkurrenzerfolgen dieses Landes, das
seit jetzt 30 Jahren mit aller nötigen staatlichen Gewalt
und Umsicht eine erfolgreiche kapitalistische Wirtschaft
etabliert, »Ansätze« oder zumindest »Bedingungen« für etwas
»Anderes«. Zweitens führen die Widersprüche, in denen sich
Staaten befinden, regelmäßig zu einem brutalen
Bereinigungsprogramm – und das betreiben die Subjekte der
Weltgeschichte, indem sie ihre Instrumente ins Rennen
schicken, ihre loyalen Völker und ihre Gewalt- und
Erpressungsmittel.
1 Vgl. dazu den Artikel »Obama bietet der aufsteigenden
Großmacht China Mitverantwortung für die amerikanische
Weltordnung an« in GegenStandpunkt 4/2009
Von Renate Dillmann ist 2009 im VSA-Verlag erschienen
»China. Ein Lehrstück«, 400 Seiten, 22,80 Euro
Podiumsdiskussion »Die VR China im
Spiegel der Publikationen« am 17.12.2009 in der
jW-Ladengalerie in der Torstraße 6, Berlin-Mitte