Tatsächlich aber hatte Adenauer dieses in der US-Zeitung plazierte
und der antimilitaristischen Stimmung der Bevölkerung der BRD
widersprechende Plädoyer für eine neue Wehrmacht langfristig
vorbereitet. Diese Grundstimmung hatte der spätere
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß auf die griffige Formel
gebracht: »Wer noch einmal ein Gewehr anfaßt, dem soll die Hand
abfallen.« Dies war auch dem Hohen Kommissar der USA, John McCloy, nicht
entgangen, der angesichts der verbreiteten »Ohne-mich-Stimmung« im Lande
seiner Washingtoner Administration in einem Bericht zur Lage mitteilte,
»die Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Militärbündnis«
stoße »auf eine ausgedehnte und nachdrückliche Opposition der
Deutschen«.
Verfolgt man rückblickend den Weg Adenauers, die westdeutsche
Bevölkerung für seine Aufrüstungspläne sozusagen »sturmreif« zu
schießen, findet sich neben anderem ein vertrauliches Gespräch, das der
Kanzler mit dem Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein im Oktober/November
1948 geführt hat, woraus aber erst am 9. Oktober 1963 diese Passage
anläßlich Adenauers Rücktritt veröffentlicht wurde: »Sie als Journalist
können vieles sagen«, so Adenauer zu Augstein, »was ich als Politiker
nicht sagen darf. Nehmen Sie diese Frage deutscher Divisionen. Wir
müssen sie erst einmal ins Gespräch bringen und dann das Weitere
abwarten.« Langes Warten war jedoch nicht Adenauers Sache. Am 3.
Dezember 1949 sprach er sich im Interview mit der US-amerikanischen
Zeitschrift The Plain Dealer »für eine autorisierte deutsche Streitmacht
als einer Abteilung unter einem europäischen Oberkommando« aus.
Unter diesem europäischen Dach, so das Kalkül Adenauers, könne dann
womöglich auch die Klärung der »deutschen Frage« im Sinne der
»Befreiung« Ostdeutschlands und eine Revision der Ergebnisse des Zweiten
Weltkrieges herbeigeführt werden. Diese Wahrheit sprach der »Alte von
Rhöndorf«, der Erfinder der dreistufigen Wahrheit – »die einfache, die
reine und die lautere Wahrheit« –, allerdings erst am 11. Februar 1952
gegenüber der britischen Daily Mail aus: Der beste Weg, um den deutschen
Osten zurückzugewinnen, sei die Wiederbewaffnung (West-)Deutschlands.
Die Brücke zum europäischen und damit antikommunistischen Dach baute
schließlich der britische Expremier Winston Churchill. Am 11. August
1950 regte er im Europarat die Aufstellung einer »Europa-Armee« unter
Einbeziehung der Bundesrepublik an. Die Teilnehmer stimmten dem
Vorschlag Churchills zu. Adenauer schildert in seinen Memoiren, daß
McCloy ihm im Gespräch berichtet habe, Churchills Vorschlag sei in den
USA »sehr begrüßt« worden, und »ich erklärte meine Zustimmung (...) und
meine Bereitschaft, für die Stellung eines deutschen Kontingents
innerhalb dieser Armee einzutreten«. Am 17. August folgte das Interview
mit der New York Times, und am 29. August übergab der Kanzler ohne
jegliche Abstimmung mit dem Bundeskabinett oder dem Bundestag dem Hohen
Kommissar ein vorerst geheimes Memorandum. Angesichts östlicher
»Angriffsformationen« forderte er die Verstärkung der westlichen
Besatzungstruppe und bot die Einbeziehung westdeutscher Kontingente in
die »Europa-Armee« und die Bildung einer starken westdeutschen Polizei
als Kader für die zukünftigen Streitkräfte der Bundesrepublik an.
Empört über diesen selbstherrlichen Alleingang trat Gustav Heinemann,
damals Bundesinnenminister, am 9. Oktober von seinem Posten zurück:
»Wenn in irgendeiner Frage der Wille des deutschen Volkes eine Rolle
spielen soll, dann muß es in der Frage der Wiederaufrüstung sein.«
Namens des Bruderrates der Bekennenden Kirche hatte Pastor Martin
Niemöller am 4. Oktober in einem offenen Brief an Adenauer geschrieben,
wenn der gegenwärtige Bundestag über die Frage der Wiederbewaffnung
entscheide, »so käme das einem Volksbetrug gleich, da kein deutscher
Wähler bei der Wahl im Sommer 1949 die Absicht gehabt hatte, dem
deutschen Bundestag die Vollmacht zu einer Kriegsrüstung oder
Kriegsbeteiligung zu geben«.
Hitlers 1945 so schmählich geschlagene Generale hatten zu dieser Zeit
die Sandkästen verlassen, in denen sie die verlorenen Schlachten des
Zweiten Weltkrieges nachgebaut hatten. In der vom US-Geheimdienst in
Kumpanei mit dem Chef der faschistischen Agententruppe »Fremde Heere
Ost«, Reinhold Gehlen, inspirierten »Historischen Abteilung« hatten sie
sich in Position gebracht. Hier entwarfen sie ihre Vorstellungen zur
»Neuordnung« des Kontinents, in denen eine neue deutsche Wehrmacht ihren
festen Platz hatte. 15 dieser auserwählten Experten, durch diverse
Ehrenerklärungen längst rehabilitiert, kamen vom 3. bis 6. Oktober 1950
unter konspirativen Umständen im Eifelkloster Himmerode zusammen, um
Adenauers Vorstellungen auf den Weg zu bringen. Die dort erarbeitete
»Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen
einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas« wurde
zur Grundlage des am 26. Oktober gegründeten »Amtes für die
Unterbringung der Besatzungstruppen«, dem Vorläufer des »Amtes Blank«,
das nun an die Verwirklichung des von Adenauer knapp zwei Monate zuvor
geforderten Aufbaus der westdeutschen Streitmacht ging.
Die Denkschrift (...) knüpfte unmittelbar an den »Besprechungsplan«
Speidels und Heusingers vom Januar an und bezieht sich ausschließlich
auf die mündliche Weisung des Herrn Bundesministers Eberhard Wildermuth
am 23.7.1950 im Auftrag des Herrn Bundeskanzlers. (...) Es handele sich,
auch dies inzwischen eine Binsenwahrheit, um Vorarbeiten für den Aufbau
einer deutschen Wehrmacht im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft. (...)
Selbstverständlich ist ihnen die Gleichberechtigung einer künftigen
deutschen Wehrmacht im Sinne und Rahmen des Atlantikpaktes. Dies beziehe
sich nicht auf die Gesamtstärke. (...) Das Besatzungsstatut müsse in dem
Sinne geändert werden, daß das Verhältnis »Sieger-Besiegte« aufhört und
ein Zustand wie zwischen Verbündeten hergestellt wird.
Als innenpolitische Voraussetzung formulierten die Generale: (...) Die
Verfassungsschutzgesetzgebung sei zu beschleunigen, der »kommunistische
Einfluß in allen öffentlichen Ämtern« auszuschalten, die ideelle
»Bekämpfung des Kommunismus und Bolschewismus« zu verstärken. Ferner lag
ihnen am Herzen die »Aufklärung des Volkes für die Notwendigkeit der
Verteidigung der Heimat bei Bekämpfung des »zersetzenden Pazifismus«.
(...) Ferner wünschten sie sich, daß der Diffamierung des deutschen
Soldaten entgegengetreten werde. Auch sei eine Versorgung der ehemaligen
Berufssoldaten und Kriegsopfer »nach dem Grundsatz des unteilbaren
Rechtes« beschleunigt durchzuführen.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/08-14/014.php